Illegale Tabakwerbung im DJV-Medienmagazin "journalist"
Pressefreiheit im Dienste der Tabaklobby
[07.08.2010/pk]
Tabakwerbung in Print-Medien ist seit Anfang 2007 verboten. Das Werbeverbot der EU-Richtlinie 2003/33/EG deckt auch Image-Werbung der Tabakindustrie ab, wie vom OLG Hamburg im August 2009 durch zwei Urteile bestätigt wurde. Laut EU-Kommission fällt jede Form der Image-Werbung von Tabakfirmen unter das Tabakwerbeverbot. Die Kommission bezeichnet in ihrem Bericht vom Mai 2008 jegliche Öffentlichkeitsarbeit, die Tabakhersteller als "verantwortungsbewusst" darstellt, als "ein Mittel zur Vermarktung von Image und Produkten des Unternehmens".
Dennoch erscheint in der vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV) herausgegebenen Zeitschrift "journalist" immer wieder Image-Werbung diverser Unternehmen der Tabakbranche. Eine Analyse der Ausgaben des "journalist" von 11/2009 bis einschließlich 7/2010 ergab, dass in sieben von neun Heften insgesamt neun Anzeigen der Tabakindustrie abgedruckt sind.
Vom März bis Juni 2010 wurden jeweils ganzseitige Anzeigen der Kampagne "Werte leben Werte schaffen" zum 100-jährigen Jubiläum des Tabakkonzerns Reemtsma veröffentlicht. In der März-Ausgabe platzierte die BAT-Stiftung für Zukunftsfragen zusätzlich eine halbseitige Anzeige mit dem Titel "Wir erforschen, was Politiker der Zukunft beschäftigt". Die Februar-Ausgabe beinhaltet eine halbseitige Anzeige von British American Tobacco (BAT) unter dem Motto "Cigarettenschmuggler kennen keine Grenzen". Die beiden untersuchten letzten Ausgaben des Jahres 2009 enthalten Anzeigen des Verbands der deutschen Rauchtabakindustrie (VdR), jeweils einspaltig "Tabakkultur Made in Germany", und zusätzlich im Dezember eine halbe Seite mit der Anzeige "Vielfalt fördern Vielfalt schützen".
Journalisten wiegeln bei Tabakwerbung ab
Der Rommerskirchen-Verlag, in dem der "journalist" monatlich erscheint, erklärte auf Anfrage lapidar: "Die bei uns veröffentlichen Anzeigen stehen im Einklang mit der aktuellen Rechtsprechung." Diese Aussage wirft die Frage auf, welche Rechtsprechung denn die beanstandete Image-Werbung der Tabakindustrie im "journalist" vom Werbeverbot ausnimmt, wie es das VTabakG einschließlich EU-Richtlinie 2003/33/EG festlegt. Der Verlag wollte dies jedoch selbst auf weitere Nachfrage nicht näher erläutern.
Für den Deutschen Journalisten-Verband antwortete Pressesprecher Hendrik Zörner, "dass die Zeitschrift 'journalist' im Verlag Rommerskirchen erscheint, der auch die verlegerische Verantwortung für das Magazin trägt". Der DJV-Sprecher erläuterte weiter: "Der DJV mischt sich grundsätzlich nicht in die internen Belange von Verlag und Redaktion ein. Das würde sich nicht mit unserem Verständnis von Pressefreiheit vertragen."
Zörner macht es sich mit dieser Antwort recht bequem. Für einen Journalisten ist ein derart demonstratives Desinteresse an einer solch interessanten Frage eher ungewöhnlich; die professionelle Neugier müsste doch sofort nach einer Aufklärung verlangen. Der "journalist" ist nach eigener Darstellung nicht nur Medienmagazin, sondern auch "DJV-Mitgliederzeitschrift und Fachpublikation in einem". Sollte sich also der DJV nicht wenigstens ein paar Gedanken über die Tabakwerbung im "journalist" machen? Dieses Thema ist von bedeutender gesellschaftlicher Relevanz und sollte damit von keinem Journalisten ignoriert werden. Nachdem die Redaktion des "journalist" sogar in der Geschäftsstelle des Deutschen Journalisten-Verbands sitzt, wäre eine kurze Nachfrage überhaupt kein Problem. Und von einer "Einmischung in die internen Belange von Verlag und Redaktion", wie vom DJV-Pressesprecher entrüstet zurückgewiesen, war ohnehin keine Rede.
Statt eines Versuchs zur Bewertung von Tabakwerbung im "journalist" lässt der DJV einfach die Scheuklappen herunter. Wieder einmal muss die Pressefreiheit dafür herhalten, präventiv eine mögliche Kritik an der Presse zu entkräften. Und wieder einmal erweist sich die Pressefreiheit als sehr dehnbarer Begriff, der sich augenscheinlich recht praktisch den jeweiligen Bedürfnissen der Journalisten anpassen lässt. Denn die Pressevertreter stehen nicht zum ersten Mal in der Kritik, sehr eigenwillige Maßstäbe für die Pressefreiheit im Umgang mit der Tabakindustrie anzulegen.
Dazu ein Beispiel vom Anfang Juni 2010. Der Pressesprecher des DJV hatte damals heftige Kritik an einem "klaren Verstoß gegen das Versammlungs- und das Presserecht" geübt, weil die NPD missliebige Journalisten von ihrem Parteitag ausgeschlossen hatte. Diese Haltung der Journalisten gegenüber dem Gebaren der Rechtsradikalen ist durchaus nachvollziehbar und soll hier auch gar nicht kritisiert werden.
Kein Problem mit der Tabakindustrie, oder: Das Schweigen der Lämmer
Merkwürdig ist nur, dass sich die Journalisten einen Angriff auf die Pressefreiheit durch die Tabakindustrie sehr wohl gefallen lassen, und zwar kritik- und kommentarlos. Das groteskeste Beispiel dafür ist der "Liberty Award" des Reemtsma-Konzerns. Ausgerechnet im Namen der Pressefreiheit wird eine höchst selektive Kontrolle der zugelassenen Journalisten entsprechend der Nützlichkeit für die Tabakindustrie getroffen. Die Webseite des Deutschen Journalisten-Verbandes schweigt sich zu dieser Vereinnahmung von Journalisten für die Interessen des Tabaklobbynetzwerks schamhaft aus.
Auch in diesem Jahr hat sich am Abend des 17. Mai eine stattliche Anzahl hochrangiger Journalisten im Grand Hyatt Berlin eingefunden, um auf Kosten des Reemtsma-Konzerns einmal so richtig üppig zu dinieren, und ohne Rücksicht auf irgendwelche Gesundheitsschutzgesetze in der "Liberty Lounge" qualmen zu können. Den damit verbundenen Maulkorb hat kein einziger der eingeladenen Medien- und Pressevertreter moniert, keinem einzigen ist es negativ aufgefallen, dass Film- und Fernsehteams ausgeschlossen waren.
Es mag wohl etwas sarkastisch klingen, wenn jemand Verständnis dafür aufbringt, dass das Preisgeld von 15.000 Euro und die damit verbundene Anerkennung selbst einem abgebrühten Profi-Journalisten zu Kopf steigen könnte. Bei einer solchen Summe könnte man schon in Versuchung kommen, ein Auge zuzudrücken - die hehren Ideale der Pressefreiheit müssen ja nicht immer so wörtlich genommen werden, oder? Nachdem der Reemtsma-Konzern beim "Liberty Award" die Berichterstattung an seine überaus professionellen PR-Mitarbeiter delegiert hat, kann sich ein für seine Unabhängigkeit ausgezeichneter Journalist eine unabhängige Berichterstattung sparen und sich einfach selbst feiern (lassen), oder? Nur ein Schelm käme auf den Gedanken, dass die Geheimhaltung von Veranstaltungsdetails, Teilnehmern oder möglichen Interessenkonflikten durch Preisgelder und andere Vergünstigungen erkauft worden sein könnte, oder?
Selbst die Journalisten, die ohne einen Cent des Preisgeldes von dannen ziehen und sich nur mit einem opulenten Bankett und den dargebotenen kostenlosen Tabakwaren begnügen müssen, geben sich bezüglich dieses Ereignisses einer geradezu beängstigenden Wortlosigkeit hin. Nur ein Schelm käme auf den Gedanken, dass dieses Schweigen erkauft worden sein könnte, oder?
Die Tabakindustrie und ihre Stiftungen treffen sich seit Jahrzehnten hinter verschlossenen Türen mit hochrangigen Politikern, Vertretern von Gesundheitsverbänden und sogar Kirchenfunktionären. Das passiert mit der Duldung des Deutschen Journalisten-Verbandes, ohne dass auch nur ein Wort über diese Mauscheleien veröffentlicht wird, ohne dass durch die Reihen unserer angeblich unabhängigen Journalisten ein Aufschrei der Entrüstung geht und ohne dass sich die hehre Journalisten-Zunft um eine nachhaltige Aufklärung dieser Heimlichtuerei bemüht.
Dabei wäre es sicherlich nicht verkehrt, wenn die Journalisten - egal ob sie nun Mitglied im DJV sind - nicht nur an sich selbst, sondern auch einmal an die 3.300 Passivrauchopfer denken würden, die jedes Jahr in Deutschland einer rücksichtslosen Geschäftspolitik der Tabakindustrie zum Opfer fallen. Wer sich als Teil des Netzwerks der Tabakindustrie vereinnahmen lässt und schweigt, macht sich am Tod dieser Menschen mit schuldig.
Es ist bezeichnend, dass Hendrik Zörner zu einem entsprechenden Schreiben an den DJV keine Stellung nahm. Ob das möglichweise damit zusammenhängt, dass der DJV-Pressesprecher selbst schon beim "Liberty Award" zu Gast war? Etwas scheint vielen unserer Journalisten bei allem Eifer zur Aufklärung von Missständen zu fehlen: die Fähigkeit und die Bereitschaft zur Selbstkritik. Wobei nicht verschwiegen werden soll, dass es durchaus Journalisten gibt, die ihre kritische Distanz (nicht nur) zur Tabakindustrie wahren.