[13.07.2007/pk]
Nach dem Austritt des Philip-Morris-Konzerns aus dem Verband der Cigarettenindustrie (VdC) gärte es heftig innerhalb der zunehmend nervös werdenden Rotte der Tabakwarenhersteller. Zunächst hatte der Verband trotzig gekontert, der Lobbyverband bleibe "auch ohne Philip Morris schlagkräftig". Nach zunehmenden Querelen und Streitereien um Verbindlichkeiten wie Pensionsansprüche erklärte am 29. Juni der Vorstand plötzlich die Auflösung ehemaligen Hochburg der Tabaklobby in Deutschland.
Damit verlässt einer der mächtigsten und umstrittensten Lobbyverbände das politische Parkett, sehr zur Freude der Gesundheitspolitiker. Diese Entscheidung zeigt nicht nur ein stetig wachsendes Gesundheitsbewusstsein unserer Gesellschaft, sondern auch den zunehmenden Erfolg der Aufklärungsarbeit über die Schädlichkeit des Tabakkonsums und über die zweifelhaften Geschäftspraktiken der Tabakproduzenten und ihrer Lobbyorganisation.
In der Selbstauflösung des VdC spiegelt sich entsprechend ein schärfer werdender Verdrängungswettbewerb in einem schwieriger gewordenen Markt wider. Dass der Auslöser der VdC-Krise jedoch ausgerechnet der Kampf gegen ein strengeres Rauchverbot in Deutschland sein sollte, den der VdC nach eigener Einschätzung sehr erfolgreich geführt hatte, zeigt die immer abstruser und unglaubwürdiger werdende Argumentation der Tabakindustrie. Diese Glaubwürdigkeitskrise des Zigerettenverbandes - wie die TAZ berichtete wurde VdC-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Hainer kürzlich bei seiner Ansprache vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestags "wie eine Zirkusnummer" belächelt - machte ihn letztlich für seine Mitglieder selbst untragbar.
Während die erste öffentliche Reaktion des VdC auf den Philip-Morris-Austritt betont gemäßigt ausfällt, nehmen im Verlauf der heftiger werdenden Auseinandersetzungen die derart brüskierten ehemaligen Verbündeten kein Blatt mehr vor den Mund, wenn es um den größten und mächtigsten ihrer Konkurenten geht. Der Vorsitzende des Verbandes der Cigarettenindustrie, Titus Wouda Kuipers, bezeichnete die von Philip Morris angegebenen Gründe für den Austritt als "scheinheilig". Kuipers, nebenbei auch Deutschlandchef von Reemtsma, äußerte gegenüber der Welt Online, er kenne "natürlich die tatsächlichen Gründe für das Verhalten von Philip Morris. Dahinter stecken reine Geschäftsinteressen."
Für Kuipers steht hinter dem von Philip Morris geforderten Werbeverbot reiner Eigennutz: "Das einzige, was Werbeverbote bewirken, ist eine Schwächung des Wettbewerbs und die Zementierung von Marktanteilen. Das stärkt immer den Marktführer." Der Marktführer mit einem Marktanteil in Deutschland von etwa 37 Prozent ist Philip Morris.
Ebenso "ausgesprochen durchsichtig" ist für den Reemtsma-Chef die Forderung nach einer Anhebung der Feinschnitt-Besteuerung: Philip Morris seien "Feinschnitt-Produkte ein Dorn im Auge, weil deren eigener Markanteil hier gering ist. Für sie wäre es deshalb von großem Vorteil, wenn dieses Segment durch eine Anhebung der Steuer verschwände."
Auch die von Philip Morris vorgebrachte Förderung des Jugendschutzes sei, so Kuipers, "nur vorgeschoben". Dies würden beispielsweise die Marketingaktivitäten des Wettbewerbers im außereuropäischen Ausland belegen: "Philip Morris sponsert außerhalb der EU weiter die Formel 1. Das ist nicht gerade konsequent und zeigt, um was es in Wirklichkeit geht."
All diese Ausführungen fallen jedoch erst einmal unter die Kategorie "Dampf ablassen". Die schimpfenden Kollegen zeigen in der Praxis ebenso wenig Verantwortungsbewusstsein für die Jugend wie der Marktführer. Die Schelte beinhaltet auch keinerlei Erklärung oder Grund für eine Auflösung des VdC.
Diese Verbalattacken beinhalten für Branchenkenner trotzdem einen wesentlichen Hinweis auf die wahren Gründe für das Ende des Lobbyverbandes. Denn schon längst sind es nicht mehr nur die eigenen Kampfgenossen, die derartigen leeren Worthülsen keinen Wert mehr beimessen, weil die darin vorgegaukelten Werte in der Geschäftspraxis der Tabakkonzerne ohnehin nur die Fassade darstellen, hinter der die Drogenproduzenten nach Belieben schalten und walten.
Zeitungen berichten, die letzten Monate seien für den VdC ein Desaster gewesen. Eine Reihe gesetzlicher Maßnahmen wird Anfang September in Kraft treten, ohne dass die Tabaklobby dies verhindern konnte. Insbesondere Rauchverbote auf Ämtern, in Reisebussen und Taxen, die Abschaffung der Raucherabteile in der Bahn, und unmittelbar bevorstehende Beschlüsse über Einschränkungen des Tabakkonsums in Kneipen und Restaurants sind ein schwerer Schlag für die erfolgsverwöhnten und millionenschweren Lobbyisten.
Die TAZ berichtet von einem schwer angegriffenen Image des Verbandes der Cigarettenindustrie: "Das Schlimmste für den VdC ist aber, dass es der Gegenlobby gelungen ist, ihm das Image hinterhältiger Todesengel zu verpassen. Vor den Tabakpartys demonstriert das Forum Rauchfrei. Politiker, die Sponsorengelder oder Spenden nehmen, müssen mit wütenden Mails und unvorteilhaften Zeitungsberichten rechnen. Als Hainer kürzlich vor dem Gesundheitsausschusses des Bundestags sprach, belächelten ihn Abgeordnete wie eine Zirkusnummer."
Lothar Binding, Bundestagsabgeordneter und Experte für Nichtraucherschutz, fasst die Entwicklung treffend zusammen: "Die Auflösung des Verbandes macht deutlich, dass die verfolgten Ziele und Strategien inzwischen von vielen Bürgerinnen und Bürgern durchschaut werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse, sowie die Forderung einer deutlichen Mehrheit von über 70 Prozent der Menschen für einen gesetzlichen Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens, lassen die Argumente einer Lobby, die ein krank machendes Produkt anpreisen soll, verblassen."
Binding bezeichnet die vorgeblichen Bemühungen von Philip Morris um einen besseren Jugendschutz als "Hypertrick": "Wenn ich es richtig gelesen habe, ist der größte Zigarettenhersteller aus dem Verband ausgetreten, weil er seine gesundheitspolitischen und jugendpolitischen Ziele dort nicht mehr gut genug vertreten sah. Ist es nicht absurd? Zwei Akteure, die ein giftiges Produkt anpreisen drängeln sich um den ersten Platz bei Gesundheit und Jugend? Hier geht es mal wieder um die gedankliche Verknüpfung positiver Begriffe Gesundheit und Jugend mit einem schlechten Produkt."
Gegenüber diesem für einen Lobbyverband absolut tödlichen Imageschaden sind die weiteren Gründe für die Verbandsauflösung nur Kleinigkeiten. Der Manager eines Konkurrenten nennt in diesem Zusammenhang Mieten und Pensionsverpflichtungen: "Wir anderen wären auf den ganzen Kosten sitzen geblieben". Durch die Abwicklung des VdC wird Philip Morris für die Kosten ebenfalls herangezogen. Für den milliardenschweren Marktführer ist dies jedoch kein Problem, auch wenn die TAZ kolportiert: "Die (Abwicklung) wird teuer. Schon weil einige der 15 Mitarbeiter viel wissen, dürften sie großzügig abgefunden werden."
Doch die Tabakindustrie als Hersteller und Vertreiber eines tödlichen Produkts mit millionenfacher Todesfolge ist zäh. Sie hat in den USA trotz unzähliger Gerichtsverfahren und Schadensersatzklagen überlebt, auch wenn sie das noch einige hundert Milliarden Dollar kostet. So haben die Konkurrenten des in Deutschland ausscherenden Marktführers bereits angekündigt, spätestens bis 1. Januar 2008 einen neuen Branchenverband ohne dessen Beteiligung aufzustellen. Es ist also damit zu rechnen, dass die düpierten Konkurrenten nun umso näher zusammenrücken, um den Marktführer umso aggressiver zu Leibe zu rücken. Die Opfer dieser Schlacht werden auch weiterhin die vergifteten Konsumenten sein, vor allem die in jungen Jahren angefixten Kinder.
Dr. Martina Pötschke-Langer, Leiterin des WHO-Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, kommentierte die Auflösung des VdC, sie "glaube überhaupt nicht, dass die Tabakindustrie jetzt weniger schlagkräftig sei". Mit der Ankündigung eines neuen Branchenverbandes bestätigt sich ihre Einschätzung, mit denen sie die Tabakleute in den letzten Jahren genervt hat: "Die Schlange häutet sich. Aber sie bleibt die Schlange."
Beispiele für diese Taktik lieferte auch der VdC selbst bereits in der Vergangenheit. Eine gewisse Zeit betätigte sich die "wissenschaftliche Abteilung" des VdC noch öffentlich. Im Jahr 1975 gründete der Verband den so genannten "Forschungsrat Rauchen und Gesundheit", um weniger auffällig agieren zu können. Der "Forschungsrat" wurde 1990 in die immer noch existierende "Stiftung für Verhalten und Umwelt" (VERUM) umgewandelt, um auch die - zumindest dem Augenschein nach - letzte Verbindung zum Rauchen beziehungsweise der Tabakindustrie zu verheimlichen.
Alle diese drei Organisationen verbindet eine schillernde Führungskraft: Professor Franz Adlkofer. Es bleibt abzuwarten, ob sich die verbliebenen VdC-Funktionäre bald in einer neuen und besser getarnten Lobbyorganisation der Tabakindustrie wiederfinden, oder ob sie sich derart in Öffentlichkeit und Politik blamiert haben, dass sie durch unbekannte Personen ohne dunkle Vorgeschichte ersetzt werden müssen.