[06.10.2006/pk]
Die aktuelle politische Diskussion dreht sich um ein generelles Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden, Theatern, Kinos und öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Tabaklobby sieht dadurch ihre lukrativen Pfründe gefährdet. Prompt müssen weitere Bauern ins Felde ziehen, um beim Geschachere um Ausnahmen für das Rauchverbot nicht alle Nikotinopfer an die Gesundheitsbewegung zu verlieren.
Neuester Akteur in diesen endlosen Drama der deutscher Gesundheitspolitik ist der Deutsche Bühnenverein. Angeblich würde ein Rauchverbot im Theater die künstlerische Freiheit verletzen. Rolf Bolwin, Direktor des Bühnenvereins, forderte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa), "die Bundesregierung müsse ihr geplantes Nichtrauchergesetz so einschränken, dass die künstlerische Freiheit nicht verletzt werde". Bolwin weiter: "Die Kunstfreiheit gebietet für das Rauchen auf der Bühne gesetzliche Sonderregelungen".
Für Rolf Bolwin ist die künstlerische Freiheit höher anzusetzen als die gesundheitliche Belastung. Dieser Versuch, künstlerische Freiheit als einen eigenen kleinen Raum der Gesetzlosigkeit zu etablieren, ist jedoch höchst bedenklich. Muss denn ein guter Autor oder Regisseur Schauspieler zu Menschen zweiter Klasse degradieren, deren Gesundheit nicht schützenswert ist, um sein Anliegen dem Publikum nahe zu bringen?
Was beunruhigt denn nun den Direktor des Deutschen Bühnenvereins so an einem Rauchverbot rund um die Bühne? Kunst kommt von Können. Wer ohne Drogen nichts kann, der hat (nicht nur) im Theater sicherlich seinen Beruf verfehlt.
Von einem Schauspieler kann man erwarten, dass er ein Stück nicht nur lesen und begreifen kann. Ein Bühnenmensch muss sein Stück durch Mimik, Gestik und Ausdruck - um nur einige der wichtigsten Eigenschaften zu nennen - vermitteln können, was besondere Fähigkeiten verlangt. Eine Kippe dagegen kann sich jeder anstecken, dazu muss man nicht einmal lesen und schreiben können.
So verwundert es nicht, dass sich Rolf Bolwin bei seinem Versuch, dem Rauchen die Stange zu halten, auf's Glatteis manövriert. Zur Verteidigung seiner künstlerischen Freiheit führt er an, "es könne nicht gesetzlich vorgeschrieben werden, dass ein Werk - das möglicherweise auch urheberrechtlich geschützt sei - für eine Aufführung verändert werden müsse". Dabei macht es doch gerade die gerne und oft auch exzessiv genutzte künstlerische Freiheit aus, jedes Stück nach Belieben anzupassen und zu interpretieren.
Die weiteren Argumente des Bühnenvereins erscheinen ebenfalls stark an den Haaren herbeigezogen. Bolwin erklärte, "in vielen Dramen finden Sie Hinweise wie: 'Er zündet sich eine Zigarette an'. Das kann man nicht einfach weglassen." Warum eigentlich nicht? Neben der bereits erwähnten praktizierten künstlerischen Freiheit stellen sich noch weitere kritische Fragen. Vor allem, warum ein solcher Hinweis im Stück zu finden ist?
In älteren Stücken, die noch aus Zeiten der Unkenntnis über die tödlichen Folgen des Rauchens stammen, könnte man eine solche Anweisung vielleicht als Dummheit interpretieren. Womöglich hatte der Autor beim Schreiben aber auch gerade heftige Entzugserscheinungen, die er aus einem (heute in Deutschland unvorstellbaren) Mangel an verfügbaren Zigarettenautomaten nicht befriedigen konnte. Will sich die Kunst etwa als Missionar zur Verbreitung derartiger überkommener Dummheiten und Irrtümer hergeben?
In neueren Werken ist die Vermutung nicht abwegig, dass der Autor Berührung mit dem "umfangreichen Beziehungsgeflecht der Tabakindustrie" hatte, das ihm ein paar scheinbar beiläufige Erwähnungen des Rauchens durch großzügige Gaben versüßte. Denn bekanntermaßen wirkt ein entsprechender Schlüsselreiz bei Nikotin- und anderen Süchtigen recht zielsicher. Diese Art der Schleichwerbung ist aus dem Fernsehen, wo Tabakwerbung bereits seit langem verboten ist, nur zu gut bekannt. Letztendlich ist das nichts anderes als eine lohnende Marketingausgabe für die Tabakindustrie.
Die Darstellung des Bühnenlobbyisten Bolwin erinnert stark an einen Nikotinsüchtigen, der glaubt, nicht ohne seinen Nikotin spendenen Glimmstängel leben zu können. Es fehlt ihm nicht nur das Vorstellungsvermögen, wie einfach man die Kippe weglassen kann. Ein gestandener Bühnenprofi wie Rolf Bolwin kennt angeblich nicht einmal Tricks, mit denen das Rauchen auf der Bühne nur vorgetäuscht werden könnte: "Meines Wissens gibt es da technisch noch gar nichts".
In diesem Punkt attestiert die Sächsische Zeitung dem Bühnenverein, "den Kontakt zur Wirklichkeit anscheinend verloren" zu haben: "Denn auf deutschen Bühnen ist fast nichts mehr Zigarette, was danach aussieht. Schauspieler am Staatsschauspiel Dresden paffen Kräuterzigaretten aus der Apotheke, gefüllt mit Minze, Menthol, Haselnuss und Papaya. Sie pusten in Trickzigaretten, aus denen ein Puder entweicht, der wie Rauch aussieht. Nicht anders an den Landesbühnen. Dort spielt auch mal ein schwarz angemalter Stumpen glaubwürdig die Rolle einer Zigarre."
Nur eine Äußerung Bolwins gibt zu denken: "Es sei nicht einzusehen, warum im Theater ein generelles Rauchverbot gelten solle, in Gaststätten aber der Betreiber selbst entscheiden dürfe."
Kein Mensch hat ein Recht darüber zu entscheiden, wer durch Passivrauchen geschädigt werden darf und wer nicht.
Deshalb darf es keine Ausnahmen und keine Hintertürchen geben, die das im Grundgesetz garantierte "Recht auf körperliche Unversehrheit" aushöhlen. Ein Rauchverbot muss alle Menschen schützen, und keine neue Zweiklassengesellschaft heraufbeschwören.