Sticks müssen wie normale Zigaretten besteuert werden
Europäischer Gerichtshof urteilt wie erwartet
[11.11.2005/pk]
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verkündete am 10. November 2005 sein Urteil
zur strittigen Besteuerung der so genannten Sticks. Wie in Fachkreisen
erwartet erklärte der EuGH die in Deutschland angewandte niedrigere
Besteuerung der Zigaretten-Sticks für unzulässig, da es sich hierbei nicht
um Feinschnitt handelt. Die Steckzigaretten müssen künftig also wie normale
Zigaretten besteuert werden.
Die Europäische Kommission hatte gegen die in Deutschland anzutreffende
steuerliche Verzerrung geklagt, da es sich bei den Sticks um umdeklarierte
Fertigprodukte handelt. Diese Produktform war von der Tabakindustrie
überhaupt erst erfunden worden, um sich einen Steuervorteil zu verschaffen.
Nachdem die Tabakindustrie in den vergangenen Monaten weltweite Rekordgewinne
gemeldet hatte, stimmt sie nun nach diesem Urteil des Europäischen
Gerichtshofs wieder einmal das große Wehklagen an, und beschwört ein
Weltuntergangsszenario für die ach-so-armen Tabakdrogenhersteller. Die
Tabakmultis geben sich dabei jedoch nicht mit einem gewaltigen
Marketing-Rummel und verstärkten Lobby-Aktivitäten zufrieden.
Bereits Wochen vor der Urteilsverkündung begannen sie, Druck auf die
Bundesregierung auszuüben. Schon frühzeitig wurde die Forderung nach einer
mehrjährigen Übergangsfrist zur Umsetzung des EuGH-Urteils in deutsches
Recht propagiert. Damit sich die Tabakindustrie noch weiter dumm und dämlich
daran verdienen kann, und genügend Zeit für die Erschließung weiterer
Schlupflöcher erhält. Die am häufigsten angewandten Drohgebärden sind nicht
neu: Warnungen vor Arbeitsplatzabbau und Werksverlagerungen ins Ausland.
Dabei ist die Tabakindustrie, die ohnehin ein Musterbeispiel für
Rationalisierung und minimalen Einsatz menschlicher Arbeitskräfte darstellt,
schon seit geraumer Zeit dabei, in Deutschland Arbeitsplätze abzubauen und
in Billiglohnländer zu verlagern. Vor wenigen Wochen hatte beispielsweise
das Hamburger Abendblatt berichtet, Reemtsma verlagert die Herstellung von
zehn Milliarden Zigaretten jährlich in sein polnisches Werk, womit in
Deutschland über 200 Arbeitsplätze innerhalb eines Jahres wegfallen.
Interessant ist nun, dass gerade die Tabakindustrie zunehmend über
Zigarettenschmuggel klagt, unter dem sie angeblich in Folge der
Tabaksteuererhöhungen selbst am meisten zu leiden habe. Nach einer
n-tv-Meldung stammt der überwiegende Teil der für Deutschland bestimmten
Schmuggelware aus Polen, sowie einigen weiteren Ländern wie Litauen,
Ukraine und China.
Sicherlich ist es "reiner Zufall", dass beispielsweise die
Produktionsverlagerung bei Reemtsma ausgerechnet nach Polen erfolgt, also
in ein Land, aus dem die meisten Zigaretten nach Deutschland geschmuggelt
werden. Wahrscheinlich ist dieser Zufall bisher auch weder der
Bundesregierung noch der Tabakindustrie aufgefallen. Aber andererseits wirft
das wiederum die Frage auf, warum die Tabakindustrie so genau weiß, dass
immer mehr ihrer treuen nikotinabhängigen Kunden als Reaktion auf den
Wegfall des Steuervorteils für Sticks zunehmend auf Schmuggelware und
Eigenimporte ausweichen? Die Warnung vor dem Zigarettenschmuggel wird von
den Tabakmultis besonders gerne und häufig als Killerargument gegen
Tabaksteuererhöhungen ins Feld geführt.
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist sicherlich ein
begrüßenswerter Schritt im Kampf gegen die Tabakdroge, dem größten Feind
der Volksgesundheit und gewaltigen Schädiger der Volkswirtschaft.
Der einzige Zweck dieser Sticks bestand ohnehin in der Steuerhinterziehung,
wenn auch paradoxerweise mit staatlicher Genehmigung.
Trotz der berechtigten Freude über dieses Urteil sollte aber nicht vergessen
werden, dass mit der Abschaffung der Sticks nur eines der Schlupflöcher
für Tabakprodukte geschlossen wurde. Denn es ist nach wie vor legal, dass
Feinschnitt, Pfeifentabak und einige andere Tabakprodukte niedriger
besteuert werden.
Es ist sowieso schon moralisch äußerst bedenklich, dass die gefährlichen
Nikotindrogen überhaupt als legal eingestuft werden. Darauf aber auch
noch Steuererleichterungen zu gewähren ist ein Beweis für den Zynismus
und die Menschenfeindlichkeit der regierenden Politiker.
Laut N24-Bericht will das Bundesfinanzministerium "das Urteil des
Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Besteuerung von Steckzigaretten 'rasch'
umsetzen". Ein Termin für die Umsetzung wurde jedoch nicht genannt. Seitens
des EuGH wurde in dem ergangenen Urteil kein Zeitlimit vorgegeben.
Allerdings hieß es aus dem in Luxemburg ansässigen Gericht, "die
Mitgliedsstaaten haben unverzüglich mit der Umsetzung eines Urteils zu
beginnen". Wie wenig sich die deutsche Bundesregierung aus solchen
EU-Vorgaben macht, und welche hanebüchenen Ausreden zu deren Verschleppung
herangezogen werden, ist am besten am Beispiel des Tabakwerbeverbots zu
sehen. Zuletzt musste Zeitmangel wegen des Bundestagswahlkampfes als Alibi
für die Nichtumsetzung des Tabakwerbeverbots herhalten.
Anmerkungen: Die Normalbesteuerung der Sticks muss nicht nur mit sofortiger Wirkung erfolgen, sondern die Tabakindustrie für den bisher entstandenen Schaden durch die entgangene Steuer zur Kasse gebeten werden.