[21.08.2010/pk]
Die Marketingstrategen der Tabakindustrie werden nicht müde zu verkünden, Tabakwerbung würde Raucher nur zu einem Wechsel der Marke, aber niemanden zum Rauchen animieren - und schon gar keine Jugendlichen. Eine aktuelle Studie der Stanford University School of Medicine zeigt jedoch, dass diese Behauptung der Nikotindrogenhersteller nicht den Tatsachen entspricht. Das von der Medizinerin Lisa Henriksen geleitete Wissenschaftlerteam konnte nachweisen, dass Tabakwerbung an der Ladentheke die Zahl junger Raucher deutlich erhöht.
Die Tabakindustrie behauptet, sie würde sich an ihre Selbstverpflichtung zum Schutz der Jugend halten, und Minderjährige nicht als Zielgruppe für ihre tödlichen Produkte umwerben. Dies wird allerdings von Experten seit vielen Jahren angezweifelt. Die US-Studie macht nun deutlich, dass trotz der Regulierung von Tabakwerbung in der Europäischen Union Jugendliche als Zielgruppe der Tabakindustrie nicht nur umworben, sondern auch tatsächlich erreicht werden.
Insbesondere Verkaufsstellen wie Tankstellen oder kleine Tante-Emma-Läden, die besonders häufig durch Tabakwerbung auffallen, verführen die Jugendlichen nach Angaben der Forscherin zum Rauchen. Von den 2110 befragten 11- bis 14-Jährigen hatten bei Studienbeginn 1681 angegeben, noch nie aktiv geraucht zu haben. 30 Monate später waren etwa 27 Prozent der ursprünglich nicht rauchenden Probanden bereits der Nikotindroge verfallen. Während die Quote der nur mit wenig Tabakwerbung in den Geschäften konfrontierten Jugendlichen bei 21 Prozent lag, waren es 34 Prozent der minderjährigen Kunden kleiner Verkaufsstellen mit viel Tabakwerbung.
Von der Wichtigkeit, Jugendliche vor Tabakwerbung zu schützen, ist auch die Jugendforscherin Seth Ammerman von der Stanford University überzeugt: "Junge Menschen sind sehr empfänglich für Werbebotschaften". Ammerman, die nicht an der erwähnten Studie beteiligt war, erläutert: "Ein besonders schändlicher Aspekt der Werbung [für Tabakwaren, Anm. d. Red.] in den kleinen Geschäften ist die Tatsache, dass das Produkt dadurch als völlig normal dargestellt wird. Was gibt es dort zu kaufen? Zigaretten, aber auch Suppe, Waschmittel, Limonade, Katzenfutter - gewöhnliche, alltägliche Dinge. Also erweckt die Werbung dort den Anschein, Rauchen wäre etwas ganz Normales." Die Ärztin, die junge Patienten im kalifornischen Lucile Packard Kinderkrankenhaus behandelt, ist davon überzeugt, dass es sich dabei nicht um einen zufälligen Zusammenhang handelt: "Die Tabakfirmen wissen das. Sie sind nicht dumm."
Die Ergebnisse der US-amerikanischen Studie bestätigen die Erkenntnisse einer im Frühjar 2010 veröffentlichten Untersuchung des Kieler Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT Nord). In einer von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) beauftragten Studie fanden die Kieler Wissenschaftler heraus, dass vor allem Tabakwerbung gemeinsam mit dem Freundeskreis dafür verantwortlich ist, Jugendliche zum Rauchen zu verführen. Untersucht wurde bei 3.400 Schülern im Alter von 10 bis 17 Jahren der Einfluss von Tabak-Werbebotschaften auf Einstellung und Verhalten.
Studienleiter Reiner Hanewinkel fasste das Ergebnis im pressetext-Interview wie folgt zusammen: "Wer häufig Tabakwerbung sieht, raucht in Zukunft viel eher". Hanewinkel sieht den Tabakkonsum von Jugendlichen als komplexes Verhalten mit einer Vielzahl von Ursachen: "Unter allen Einflussfaktoren sind jedoch die rauchende Umgebung, Facetten der Persönlichkeit wie der Erlebnishunger und die Werbung die wichtigsten". Diese Beobachtung ist unabhängig von Faktoren wie soziale Schicht oder Schulleistung. Die Forscher ermittelten, dass statistisch der Einfluss von Tabakwerbung mit jenem rauchender Freunde gleichauf an erster Stelle liegt.
Der Kieler Forscher sieht die gezielte Strategie derartiger Kampagnen als Ursache für die starke Wirkung der Tabakwerbung auf Jugendliche Kampagnen: "Im Unterschied zu anderen Werbungen liefert die Tabakwerbung jedoch keine Produktinformation, sondern baut allein ein Image auf." Der Marlboro-Cowboy ist eines der berühmtesten Beispiele und auch bei Jugendlichen bekannt; dass er inzwischen am Raucherkrebs verstorben ist wissen nur die wenigsten. Der Psychologe erläutert, warum diese Image-Werbung besonders bei Heranwachsenden so erfolgreich wirkt: "Die Pubertät ist mit einer großen Unsicherheit hinsichtlich der eigenen Person verbunden. Werbebilder eignen sich gut, um das eigene Image aufzubauen." Verschiedene Marken werden mit Eigenschaften wie Freundschaft, Coolness oder Sexiness beworben: "Die Tabakindustrie hat für jeden Personentyp eine Sorte auf Lager".
Hanewinkel sieht auf Grund dieser Ergebnisse deutlichen Handlungsbedarf. Zigarettenwerbung ist zwar im Radio und Fernsehen schon seit mehreren Jahrzehnten verboten. Dennoch verfügt die Tabakindustrie immer noch über "genügend Projektionsflächen", um ihre Werbebotschaft bei den Jugendlichen zu platzieren: Außenwerbung, abendliche Kinowerbung, Präsentation an Verkaufsstellen, Sponsoring und Promotion, Internet und Soziale Netzwerke, Schleichwerbung in alten und neuen Medien.
Der Kieler Psychologe konstatiert einen nachlässigen Umgang mit dem Tabakwerbeverbot. Hanewinkel äußerte die Hoffnung, dass die Studienergebnisse "ein weiteres gutes Argument für ein totales Werbeverbot liefern". Denn kein anderer Faktor für das Rauchverhalten Jugendlicher lässt sich von der Politik derart wirksam beeinflussen wie die Werbung.
Fazit: Die Bundesregierung hat ihren Einfluss zur Bekämpfung der Tabakabhängigkeit bei Jugendlichen bislang zu Gunsten der Tabakindustrie missbraucht. Die Politik hat das längst unterzeichnete Rahmenabkommen zur Tabakkontrolle und die darin enthaltene Verpflichtung zum Tabakwerbeverbot nicht umgesetzt. Diese wirksame Maßnahme zum Schutz der Jugend wurde vielmehr durch diverse Tricks und Scheingefechte auf Nebenschauplätzen vorsätzlich immer weiter verzögert.