Deutschland missachtet internationale Verträge zur Tabakprävention
Bundesregierung betrügt das Volk
[08.05.2010/pk]
Fünf Jahre nach der Ratifizierung der Tabakrahmenkonvention der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Eindämmung des Tabakkonsums in der Bundesrepublik Deutschland hat das Aktionsbündnis Nichtrauchen (ABNR) Bilanz gezogen, inwiefern Deutschland seine vertraglichen Verpflichtungen aus dem Abkommen erfüllt hat. Das Ergebnis ist äußerst ernüchternd. Ein großer Teil der vertraglich vereinbarten Maßnahmen wurde überhaupt nicht, einige nur teilweise umgesetzt. Für die Bundesregierung scheint das internationale Vertragswerk nicht mehr wert zu sein als Toilettenpapier.
Im Rahmen der Veröffentlichung eines Berichts weist das ABNR, ein Zusammenschluss großer deutscher Gesundheitsorganisationen, auf mangelnde Vertragstreue hin. Vertragsbrüchig sind Bundesregierung und Bundesländer bei dem im März 2010 fälligen Verbot von Tabakwerbung, Promotion und Sponsoring (Art. 13). Die Regierungen von Bund und Ländern verletzen zudem die Vereinbarung, einen umfassenden Schutz vor dem Passivrauchen in öffentlich zugänglichen Räumen und am Arbeitsplatz (Art. 8) zu gewähren.
Für Professor Friedrich Wiebel, Toxikologe und Mitglied im ABNR, ist es skandalös, "dass Deutschland bei einem so zentralen gesundheitlichen Anliegen wie dem Kampf gegen die Tabakepidemie die eigenen Gesetze und internationalen Verträge missachtet". Als Hauptursache für die Vertragsverletzungen macht Wiebel die offenkundige Einflussnahme der Tabaklobby auf die Politik verantwortlich. Auch in diesem Punkt werde das Abkommen verletzt, das die "politischen Entscheidungsträger zur Distanz gegenüber der Tabakindustrie" anhält.
Als Konsequenz fordert Professor Wiebel: "Bund und Bundesländer sollten endlich ihren vertraglichen Verpflichtungen zur Tabakprävention nachkommen. Die gesundheitlichen Interessen der Bevölkerung müssen Vorrang vor den ökonomischen Interessen der Tabakwirtschaft haben."
Das Aktionsbündnis Nichtrauchen stellt in seiner Bilanz "Erfüllt Deutschland seine internationalen Verpflichtungen zur Tabakprävention?" ausführlich dar, welche Vorgaben der Tabakrahmenkonvention und der dazu verabschiedeten Leitlinien die Bundesrepublik nicht erfüllt. Einige zentrale Kriterien sollen hier aufgelistet werden, die vollständige Information ist dem Bericht des ABNR zu entnehmen.
Artikel 5 der Konvention beinhaltet den Schutz vor der Einflussnahme der Tabakindustrie auf die Gesundheitspolitik. Die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich darin, eine Einflussnahme der Tabakindustrie auf gesundheitspolitische Maßnahmen zu unterbinden. Dennoch lässt sich die Bundesregierung durch die Tabakindustrie beraten, und übernimmt sogar einen Gesetzesvorschlag der Tabakindustrie für ein Gesetz zum Nichtraucherschutz unverändert.
Des weiteren haben alle Unterzeichner der Tabakrahmenkonvention - also auch die Bundesrepublik Deutschland - vereinbart, Interessenkonflikte im Politikbereich zu vermeiden, und insbesondere die Annahme von Geldmitteln, Werbegeschenken oder Dienstleistungen zu verbieten. Unsere Politiker ignorieren diese Verpflichtung jedoch vielfach, nehmen Spenden der Tabakindustrie an, veröffentlichen einträgliche Anzeigen der Tabakindustrie in ihren Parteizeitungen und nehmen die Hilfe der Tabakindustrie bei der Ausrichtungen von Parteitagen oder festlichen Anlässen der Parteien entgegen.
Die Bundesregierung hat sich mit der Unterzeichnung der Konvention und der Absegnung der Leitlinien vertraglich verpflichtet, jegliche als "unternehmerische Sozialverantwortung" beschriebene Unternehmenskommunikation der Tabakindsutrie zu denormalisieren und zu reglementieren. Auch in diesem Punkt legen unsere Politiker völlige Ignoranz an den Tag. Sie tolerieren das Sponsoring staatlicher und staatsnaher Aktivitäten durch die Tabakindustrie, und nehmen ebenso wie hochrangige Behördenvertreter an Veranstaltungen der Tabakindustrie teil.
Anstatt über die Aktivitäten der Tabakindustrie aufzuklären, wie vertraglich vereinbart, wird die Interaktion von Politikern und Behörden mit der Tabakindustrie verheimlicht und vertuscht. Anstatt der vertraglich zugesicherten Verweigerung von Partnerschaften und nicht bindenden oder nicht durchsetzbaren Vereinbarungen mit der Tabakindustrie akzeptieren Politiker und Behörden die so genannte freiwillige Vereinbarung der Tabakindustrie zur Einschränkung der Tabakwerbung.
Die vertraglichen Vereinbarungen zum Schutz vor Passivrauchen, wie in Artikel 8 der Konvention vereinbart, werden von unseren staatlichen Stellen ebenfalls mit Füßen getreten. Anstelle des vertraglich zugesicherten vollständigen Verbots des Rauchens in geschlossenen Räumen und Verkehrsmitteln sowie an allen Arbeitsplätzen verweigert die Politik allen Arbeitnehmern mit Publikumsverkehr diesen Schutz, und lässt auch sonst zahllose Ausnahmen zu.
Statt der vertraglich vereinbarten einfachen, klaren und vor allem durchsetzbaren Gesetzgebung haben unsere Regierungsvertreter einen Gesetzesdschungel von bundes- und länderspezifischen Gesetzen geschaffen. Entgegen der vertraglichen Verpflichtung sind Entlüftungsanlagen (so genannter technischer Nichtraucherschutz) trotz ihrer mangelhaften Wirksamkeit in den Nichtraucherschutzgesetzen der Länder zugelassen. Trotz anders lautenden Vereinbarungen ist die finanzielle und personelle Ausstattung zur Umsetzung der Schutzgesetze absolut unzureichend. Diese Unzulänglichkeit wird von den Behördenvertretern häufig dann vorgebracht, wenn Bürger sich mit Beschwerden über Verstöße gegen die Nichtraucherschutzgesetze an die zuständigen Stellen wenden.
Die in Artikel 11 der Konvention vereinbarten Regelungen zu Produktgestaltung und Marketing werden ebenfalls größtenteils ignoriert. Es gibt in Deutschland weiterhin irreführende Angaben zu den Gehalten von Teer, Nikotin und Kohlenmonoxid auf Zigarettenpackungen. Qualitative Angaben zu relevanten Bestandteilen und Emissionen von Tabakerzeugnissen auf Zigarettenpackungen fehlen völlig. Die vereinbarte Nutzung von bildlichen Warnhinweisen ist bislang nicht erfolgt, ebenso wenig die Einführung neutraler (Einheits-)Verpackungen.
Laut Artikel 13 der Tabakrahmenkonvention zu Werbung und Sponsoring müssten in Deutschland Zigarettenautomaten längst verboten sein. Dennoch stehen hierzulande immer noch mehr als 400.000 dieser Tabakdrogenautomaten in der Öffentlichkeit, mehr als allen anderen Ländern auf unserem Globus zusammengenommen. Die Bundesregierung hat das Verbot aller Auslagen sowie der Sichtbarkeit von Tabakerzeugnissen an Verkaufsorten nicht umgesetzt. Beim Verbot der Verwendung gleicher Namen für Tabak- und Nicht-Tabakprodukte, so genanntes "Brand Sharing", ist die Bundesregierung ebenfalls vertragsbrüchig.
Die Bundesregierung hat sich mit der Unterzeichnung der Konvention auch zu einer Reihe weiterer Maßnahmen zur Entwöhnung (Artikel 14) sowie gegen den unerlaubten Handel und Schmuggel von Tabakwaren (Artikel 15) verpflichtet. Dennoch sind die vereinbarten Maßnahmen größtenteils gar nicht beziehungsweise nur teilweise umgesetzt worden.
Fazit: Es ist unglaublich, mit welcher geradezu kriminellen Energie in Deutschland die Verträge zur Tabakprävention missachtet werden, und die Bundesregierung Hochverrat am deutschen Volk begeht. Die Mehrheit unserer Politiker lullt das Volk mit wortreichen Platitüden über ihre angeblichen Bemühungen für den Schutz vor der Tabakdroge ein. In Wahrheit wird hinter dem Rücken des Volkes wie schon seit Jahrzehnten gemeinsam mit der Tabakindustrie Schindluder betrieben.
Besonders dreist ist jedoch die Unterzeichnung eines internationalen Vertragswerkes zur Tabakprävention durch die Bundesregierung, das diese im eigenen Land weitestgehend ignoriert und mit Füßen tritt. Eine Verlogenheit, die ihresgleichen sucht.