[05.06.2010/pk]
Nach einem aktuellen Bericht des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) sind in Deutschland 1,7 Millionen Kinder dem Tabakrauch ihrer Erziehungsberechtigten ausgesetzt. Die Folge sind gesundheitliche Schäden wie Mittelohrentzündungen, Atemwegserkrankungen und Asthma. Dr. Martina Pötschke-Langer verdeutlichte bei der Vorstellung des Berichts "Schutz der Familie vor Tabakrauch" die Folgen des elterlichen Tabakkonsums mit einem drastischen Bild: "Tabakrauch ist so gefährlich, dass Kinder Gasmasken tragen sollten, wenn ihre Eltern zu Hause qualmen". Im Tabakrauch sind etwa 4.800 Substanzen enthalten, viele davon hochgiftig. Inzwischen werden mindestens 90 Inhaltsstoffe des Tabakrauchs als Krebs erregend eingestuft.
Der Qualm und seine schwerwiegenden Folgen verziehen sich selbst bei gründlichem Lüften nicht einfach. Der Tabakrauch setzt sich in den Wänden und Teppichböden fest und gibt die gefährlichen Substanzen in die Raumluft ab. Ähnliches gilt für die Kleidung der Raucher. Die Ausdünstungen aus der durch Tabakrauch verunreinigten Kleidung machen besondern Säuglingen und Kleinkindern durch häufigeren engen Kontakt zu schaffen. Vor den gesundheitsgefährdenden Folgen sind die betroffenen Kinder also auch dann nicht geschützt, wenn die Eltern in einem Nebenzimmer qualmen, zu dem der Nachwuchs keinen Zutritt hat.
Besonders hohe Konzentration der Tabakrauchgifte treten im Auto auf, wenn die Eltern auf engstem Rauch ihrer Nikotinsucht frönen. Selbst bei geöffnetem Fenster kann die Schadstoffbelastung mit einer verqualmten Kneipe konkurrieren. Die Krebsforscher am DKFZ fordern daher die Bundesregierung auf, ein Rauchverbot in Kraftfahrzeugen ernsthaft zu prüfen. Schwangere und Kinder sind hier besonders gefährdet. Wie auch in der Wohnung setzen sich die Schadstoffe im Stoff fest und werden über einen langen Zeitraum hinweg wieder abgegeben. Damit sollte das Rauchen nicht nur in Anwesenheit von Kindern und Schwangeren absolut tabu sein, sondern generell in von diesen Personengruppen genutzen Fahrzeugen unterbleiben.
Noch schwerwiegender sind die Folgen, wenn Raucherinnen in der Schwangerschaft ihren Tabakkonsum nicht einstellen. Gerade einmal ein Viertel aller werdenden Mütter hört ihrem ungeborenen Nachwuchs zuliebe mit dem Rauchen auf. Drei Viertel aller Schwangeren geben somit ihren Kindern eine schwere Hypothek für ihr Leben mit. Früh- und Fehlgeburten treten bei rauchenden Müttern weitaus häufiger auf als bei nicht rauchenden. Kinder rauchender Mütter sind häufig bei der Geburt untergewichtig und tragen ein doppelt so hohes Risiko, am plötzlichen Kindstod zu sterben. Die übrigen leiden oft ihr ganzes Leben an den gesundheitlichen Folgen.
Aber nicht nur Schwangere gefährden sich und ihr Kind durch den Tabakkonsum unnötig. Wer die Pille zur Verhütung anwendet steigert durch Rauchen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Thrombosen und Schlaganfall erheblich. Das gesamtgesellschaftliche Risiko steigt umso mehr, je größer der Anteil von Frauen und Mädchen unter den Tabakkonsumenten wird. In der Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen haben die Mädchen mit einer Quote von 16,2 Prozent die Jungen (14,7 Prozent) bereits überholt.
In einer Pressemitteilung des DKFZ zum Weltnichtrauchertag erklärt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans: "Es ist mir ein großes Anliegen, dass Kinder schon im Mutterleib und später in der Familie vor den Gefahren des Tabakrauchens geschützt werden. Deshalb setze ich mich dafür ein, werdende Mütter nachhaltig über die Folgen des Rauchens aufzuklären. Zu einer guten Prävention gehört, dass werdende Mütter von ihrem Arzt auf die Gefahren des Rauchens in der Schwangerschaft hingewiesen und mit konkreten Angeboten zur Tabakentwöhnung unterstützt werden. Diese notwendigen Hilfen für Schwangere dürfen nicht an der Finanzierung scheitern. Die Gesundheit unserer Kinder muss Vorrang haben, deshalb sollte in Gegenwart von Kindern überhaupt nicht geraucht werden."
Wer diese Zeilen liest möchte fast glauben, dass Mechthild Dyckmans den Schutz der Kinder und Jugend vor der gefährlichsten Alltagsdroge energischer voranbringen möchte als ihre Vorgängerin Sabine Bätzing. Dieser Traum ist jedoch schnell ausgeträumt, wenn man ein Interview der Welt mit der Bundesdrogenbeauftragten anlässlich des Weltnichtrauchertags liest. Es wird deutlich, dass Dyckmans konkrete Maßnahmen zum Schutz der Kinder der Doktrin ihrer Partei (FDP) unterordnet.
Eine Anhebung der Tabaksteuer als wirksame Ausstiegshilfe lehnt Mechthild Dyckmans ab, weil dies "nicht in die Zeit passe". Angeblich würden sich dadurch nur noch "diejenigen das Rauchen leisten können, die Geld haben". Die Bundesdrogenbeauftragte scheint zu verdrängen, dass die Bundesrepublik Deutschland die Tabakkonvention der WHO unterzeichnet hat, und im Jahr 2008 in Durban auch den ergänzenden Leitlinien förmlich zugestimmt hat. In Artikel 6 "Besteuerung von Tabakwaren" verpflichten sich die Unterzeichner (damit also auch die Bundesrepublik Deutschland) zur "Berücksichtigung der Belange der Tabakprävention bei steuerpolitischen Maßnahmen". Obwohl die Tabaksteuer im Gegensatz zur Mehrwertsteuer und weiteren Steuern seit mehr als fünf Jahren nicht mehr erhöht wurde, will Dyckmans bei der aktuellen Diskussion um Steuererhöhungen ausgerechnet die Tabaksteuer ausnehmen. Zu Recht wird ihr bei Abgeordnetenwatch.de die Frage gestellt: "Mit welchem Recht setzen Sie sich über einen internationalen Vertrag hinweg, den die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet und ratifiziert hat?"
Dyckmans erachtet die Gewinneinbußen der Tabakindustrie auf Grund wirkungsvoller Maßnahmen zur Eindämmung des Rauchens offensichtlich für wichtiger, als den Schutz unserer Jugend. Die Wirksamkeit einer stärkeren gesetzlichen Reglementierung der Tabakindustrie und Erhöhungen der Tabaksteuer wurde bereits in etlichen europäischen Staaten in der Praxis unter Beweis gestellt. Um sich dennoch als Kinderschützerin profilieren zu können appelliert die Bundesdrogenbeauftragte an Städte und Gemeinden, das Rauchen auf Spielplätzen zu verbieten. Mechthild Dyckmans verlagert die Diskussion also auf einen Nebenschauplatz, um der Tabakindustrie beim ganz großen Geschäft den Rücken freizuhalten.
Weitere Äußerungen der Bundesdrogenbeauftragten gegenüber der Welt untermauern die Tatsache, dass Kinderschutz für sie nur eine leere Floskel darstellt: "Wir können Eltern nicht das Rauchen in ihrer Wohnung verbieten. Das ist weder mit dem Grundgesetz vereinbar, noch können wir es kontrollieren. So weit darf sich der Staat nicht in die private Lebensgestaltung seiner Bürger einmischen. Ich setze auf Verantwortung und Aufklärung."
Wie der DKFZ-Publikation "Passivrauchen - ein unterschätztes Gesundheitsrisiko" zu entnehmen ist, führt Passivrauchen jährlich in Deutschland zu 3.300 Todesfällen, darunter 60 Fälle von plötzlichem Kindstod. Wie Mechthild Dyckmans zu der Auffassung gelangt, dass es angeblich "nicht mit dem Grundgesetz vereinbar" sei, diese Schädigung gesetzlich zu unterbinden, muss sie erst noch erklären.
Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu wissen, dass es in Deutschland seit 1997 verboten ist, Kinder zu schlagen. Der Staat mischt sich also sehr wohl in die "private Lebensgestaltung seiner Bürger" ein. Diese Einmischung wurde von einer schwarz-gelben Koalition unter dem FDP-Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig beschlossen. Die FDP hat sich mit ihrer Bundesdrogenbeauftragten also in eine paradoxe Situation manövriert. Körperverletzung mit möglichen Todesfolgen durch Tabakrauch will man nicht verbieten, während man ohne Probleme in die privatesten Freiheitsrechte eingreift, um Körperverletzung durch Ohrfeigen gesetzlich zu untersagen.
Es lässt sich hier nur ein einziger Unterschied feststellen. Mit dem Schlagen von Kindern lässt sich kein Geld verdienen (also gibt es keine Lobby), dagegen wird mit Zigaretten ein gewaltiger Umsatz gemacht (der von einer finanzstarken Lobby mit Zähnen und Klauen verteidigt wird). Hängst also die Entscheidung von Mechthild Dyckmans, Kinder im Privatbereich nicht vor Tabakrauch zu schützen, mit den Interessen und der unbezahlbaren Freiheit der Tabaklobby zusammen?