Rechtsbruch: Bundesregierung schützt sich nicht vor der Tabakindustrie
Verstöße gegen Tabakkonvention der WHO
[16.06.2010/Forum Rauchfrei]
Die Bundesregierung verstößt gegen das Gesetz zu dem Tabakrahmenübereinkommen. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung vom 9. Juni auf eine kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen und aus dem Bericht der Bundesregierung an die Weltgesundheitsorganisation vom 24. Februar hervor.
Johannes Spatz, Sprecher des Forum Rauchfrei, fordert die Bundesregierung auf, sich an Recht und Gesetz zu halten. Er ist empört darüber, dass die traditionell engen Beziehungen zwischen Vertretern von CDU und FDP zur Tabakindustrie heute noch fortgesetzt werden. Offensichtlich haben die Anstrengungen der WHO, diese Beziehungsgeflechte zu zerschlagen, bis heute in Deutschland keinen Erfolg gehabt. Spatz führt die unwirksamen Gesetze zur Zurückdrängung des Tabakkonsums bei Jugendlichen in Deutschland (Werbung, Steuern, Verkauf) auf die enge Verbindung zwischen Regierung und Tabakindustrie zurück. Spatz: "Die Bundesregierung muss ihre Freundschaft zur Tabakindustrie aufkündigen."
Laut Artikel 5.3 des Übereinkommens muss die Bundesregierung sich vor der Einflussnahme der Tabakindustrie schützen. Die Regierung geht in ihrer Antwort auf die Fragen der Grünen aber nicht auf das Gesetz, sondern nur auf die entsprechenden Leitlinien ein, die sie auf das Niveau von "rechtlich nicht bindenden" Empfehlungen herabstuft. Doch nicht nur die Leitlinien, das Gesetz selbst sieht vor, dass sich die Regierung vor den Interessen der Tabakindustrie schützen muss. Wenn sie dies nicht tut, ist dies ein klarer Rechtsbruch. Diesen Rechtsbruch räumt die Bundesregierung in ihrem Bericht an die WHO selbst ein. Dort beantwortet die Regierung die Frage nach dem "Schutz gesundheitspolitischer Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs vor kommerziellen oder anderen berechtigten Interessen der Tabakindustrie" mit einem eindeutigen "Nein".
Dass sich die Regierung nicht vor der Tabakindustrie schützt, sondern ganz im Gegenteil vertraulich mit ihr zusammenarbeitet, zeigt sich beispielsweise bei der Frage eines Zusatzstoffverbots für Zigaretten. Dies geht aus der Rede des Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Zigarettenverbandes, Ad Schenk, hervor, die in der Tabakzeitung vom 28. Mai 2010 in Auszügen abgedruckt ist: "In den vergangenen Monaten hat, dank vorbildlicher Zusammenarbeit, ein Arbeitskreis des Rauchtabak-Verbands, des Zigarrenverbands und des Deutschen Zigarettenverbands in enger Abstimmung mit dem Verbraucherschutzministerium Vorschläge zur Änderung der Tabakverordnung erarbeitet." In derselben Rede betont Schenk ganz unverblümt, wie wichtig es ist, im Interesse der Tabakindustrie Einfluss auf die Delegierten der nächsten internationalen Konferenz zur Tabakkontrolle zu nehmen, um ein Zusatzstoffverbot für Zigaretten zu verhindern.
Aus der Antwort auf die kleine Anfrage geht noch ein weiterer Gesetzesverstoß hervor. Nach Artikel 5.2a muss die Regierung "einen nationalen Koordinierungsmechanismus oder Zentren für die Eindämmung des Tabakgebrauchs schaffen oder verstärken und finanzieren". Nach Aussage der Regierung wäre dies das Bundesgesundheitsministerium bzw. die Bundesdrogenbeauftragte. Diese verweisen allerdings in Fragen der Tabakkontrolle auf das Ministerium für Verbraucherschutz, so geschehen z. B. bei einer Beschwerde über Verstöße gegen die Kennzeichnungspflicht von Tabakwaren. Für ein Verbot von Kinderkaugummi- bzw. Schokozigaretten, wie es WHO und EU fordern, erklären sich weder das Verbraucher- noch das Gesundheitsministerium für zuständig. Das Gesundheitsministerium verwies das Forum Rauchfrei wegen der Kinderzigaretten an das Verbraucherministerium, dieses allerdings hatte bereits zuvor das Gesundheitsministerium für zuständig erklärt.