Krankenversicherungen als Großaktionäre der Tabakdrogenindustrie
Raucher werden doppelt abgezockt
[11.07.2009/pk]
Laut einer Anfang Juni im renommierten New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlichten Studie haben die größten amerikanischen, kanadischen und britischen Lebens- und Krankenversicherungen Milliardenbeträge in Aktien der Tabakkonzerne investiert. Der Autor der Studie, Dr. Wesley Boyd, hat ermittelt, dass die Versicherer mindestens 4,4 Milliarden US-Dollar in Aktien von Firmen angelegt haben, die Zigaretten, Zigarren, Kautabak und weitere Tabakprodukte herstellen.
Diese Verstrickung des Gesundheitswesens mit Tabakdrogenproduzenten erklärt, warum seitens der Krankenkassen keine größeren Anstrengungen unternommen werden, Tabakkonsum als größtes Gesundheitsrisiko wirkungsvoll zu bekämpfen. Denn die Versicherer haben einen Weg gefunden, doppelt von der Nikotinsucht zu profitieren. Zum einen verdienen sie an den gigantischen Gewinnen der Tabakindustrie, die den Rauchern mit extrem süchtig machenden Produkten das Geld aus der Tasche zieht. Zum anderen werden die Raucher wegen der Gesundheitsrisiken des Tabakkonsums mit deutlich höheren Versicherungsbeiträgen abkassiert. Falls den Versicherungen das Risiko zu hoch erscheint, werden Rauchern Verträge ganz verwehrt, oder nur mit erheblichen Einschränkungen (z.B. verkürzte Laufzeiten bei Lebensversicherungen) zugestanden.
Bereits im Jahr 1995 hatten die Wissenschaftler der Harvard Medical School im britischen Medizinjournal Lancet auf diesen Missstand hingewiesen. Wesley Boyd, Mitglied der Harvard Medical School: "Trotz Aufrufe der Ärzte und anderer an die Versicherungsbranche sich von der Tabakindustrie zu distanzieren, stellen die Versicherer weiter den Profit über die Gesundheit der Menschen". Boyle weiter: "Geld zu verdienen ist eindeutig ihre oberste Priorität, nicht das Wohlergehen der Menschen zu sichern".
Die Verfasser der Studie warnen, dass diese Geschäftspraktiken den privaten Versicherungen gewaltige neue Märkte erschließen, auf Kosten der Allgemeinheit. Als Beispiel führen die Wissenschaftler den US-Bundesstaat Massachusetts an, dessen jüngste Reform des Gesundheitswesens oft als Vorbild für eine nationale Reform angeführt wird.
Zu den Investoren der Tabakindustrie gehört laut Studie der Anbieter von Kranken- und Invaliditätsversicherungen Prudential Plc., der sich mit bei der Tabakindustrie einem Aktienpaket der Tabakindustrie im Wert von 1,38 Milliarden US-Dollar eingekauft hat. Der Versicherer besitzt Anteile an British American Tobacco (BAT) und Imperial Tobacco.
Der kanadische Konzern Sun Life Financial Inc. hat aus seinen Beitragseinnahmen aus Lebens-, Invaliditäts- und Krankenversicherungen mehr als eine Milliarde US-Dollar in Tabakaktien gesteckt. Der Löwenanteil von 890 Millionen ging an Philip Morris, der restliche Betrag an Lorillard.
Der US-amerikanische Konzern Prudential Financial Inc. unterstützt mit einer Summe von 264,3 Millionen US-Dollar drei US-Tabakkonzerne. Neben Marktführer Philip Morris flossen Gelder für Anteile an Reynolds America und Lorillard.
Die Studie listet eine Reihe weiterer Versicherungsunternehmen auf, die der Tabakdrogenindustrie beträchtliche Summen für ihre mörderische Geschäftstätigkeit in Form von Aktieninvestments zur Verfügung stellen. Northwestern Mutual, Massachusetts Mutual Life, und die schottische Versicherung Standard Life Plc. unterstützen die Tabakindustrie ebenfalls durch Aktieninvestments für mehrstellige Millionenbeträge. Davon profitieren Philip Morris, British American Tobacco (BAT), Imperial Tobacco, Lorillard und Reynolds America.
Während ein Sprecher der Prudential die Zahlen als ziemlich genau bezeichnet, wiegeln viele der in der Studie zitierten Versicherungsunternehmen die Angaben über ihre Tabak-Investments als krasse Übertreibungen ab. Boyd und seine Mitautoren Dr. David Himmelstein and Dr. Steffie Woolhandler halten jedoch an ihren Ergebnissen fest, die sie an Hand von Daten aus dem Osiris-System gewannen. Osiris ist eine proprietäre Datenbank mit Informationen über Industrieunternehmen, Banken und Versicherungen, die von der Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde SEC und Nachrichtendiensten wie Dow Jones und Reuters zur Verfügung gestellt werden.
Ein weiterer Lebensversicherer, TIAA-CREF (Teachers Insurance and Annuity Association, College Retirement Equities Fund), steht ebenfalls seit langem wegen seiner milliardenschweren Tabakinvestments in der Kritik. Inzwischen bietet das Versicherungsunternehmen seinen Kunden die Option an, derartige ethisch bedenkliche Investitionen mittels so genannter "sozial verträglicher" Fonds bewusst zu vermeiden.
Ähnliche Wahlmöglichkeiten bieten inzwischen zwar die meisten Versicherer an. Die Auswahl von Fonds, die überhaupt ethische Maßstäbe berücksichtigen, ist jedoch nach wie vor vergleichsweise klein, sie werden zudem praktisch nur auf ausdrücklichen Wunsch verkauft. Wer unvoreingenommen ist, und ethisches Handeln als selbstverständlich voraussetzt, der bekommt ganz schnell ohne es zu bemerken auch zweifelhafte Investments angedreht.
Anmerkungen: Es ist skandalös, dass die Versicherungen mit den Sozialbeiträgen ihrer Versicherten das internationale Tabakdrogengeschäft fördern. Laut WHO sterben jährlich weltweit mehr als 5 Millionen Menschen an tabakbedingten Erkrankungen, wie Lungenkrebs, Herzinfarkt, Gehirnschlag und viele weitere. Die Milliardeninvestitionen der Versicherungen sichern einer Mordsindustrie eine breite finanzielle Basis für ein unsoziales Geschäftsmodell.