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Fotodokumentationen

21 Millionen rauchende Kinder in Indonesien

Unkontrollierte Expansion der Tabakindustrie in Entwicklungsländern

[16.07.2011/pk] Vor einem Jahr ging das Bild des zweijährigen nikotinsüchtigen Ardi Rizal aus Indonesien um die Welt, der mit professioneller Hilfe nach vierzig Zigaretten täglich endlich clean wurde. Der Junge aus einem Fischerdorf auf der Insel Sumatra, der noch nicht einmal richtig laufen konnte, erlangte durch ein YouTube-Video traurige Berühmtheit. Sein Schicksal führt der Welt die unkontrollierte aggressive Expansion der Tabakindustrie in den Entwicklungsländern eindringlich vor Augen.

Indonesien befindet sich als drittgrößte Raucherpopulation nach China und Indien fest im Würgegriff der Tabakindustrie. Längst kontrollieren die internationalen Weltmarktführer Altria/Philip Morris, British American Tobacco (BAT), Imperial Tobacco und Japan Tobacco das Nikotindrogengeschäft im Land. Dabei ist es keineswegs der Fall, dass die Zigarettenproduzenten ernsthafte wirtschaftliche Probleme hätten, die nur durch deren aggressive Expansion in die Dritte Welt gemildert werden könnten. Im Gegenteil, die Nikotindrogenhersteller eilen von Rekordgewinn zu Rekordgewinn.

Die Zeche zahlen die Menschen in den ärmsten Ländern, und dort vor allem die Kinder. In Indonesien geben laut einer Studie der Universität Gadjah Mada selbst die allerärmsten Familien mehr Geld für Tabakdrogen aus, als für Grundnahrungsmittel und Bildung. Die Kinder leiden aber nicht nur indirekt durch die Vernachlässigung zu Gunsten von Tabakwaren, sie werden schon in allerjüngsten Jahren zu Kunden der Tabakindustrie herangezogen - wie auch das obige Beispiel verdeutlicht. Bereits Kleinkinder werden an den Glimmstängel gewöhnt.

Nach einer Erhebung sind inwischen bereits zwei Prozent der indonesischen Raucher zwischen fünf und neun Jahre alt. Laut Angaben der nationalen Kinderschutzkommission rauchen in Indonesien schätzungsweise 21 Millionen Kinder. Der Anteil nikotinabhängiger Kinder ist seit dem Jahr 2001 ständig gestiegen. Während im Durchschnitt etwa 38 Prozent aller Minderjährigen am Glimmstängel hängen, sind es in der Hauptstadt Jakarta bereits 80 Prozent.

Auf Schutz vor der aggressiven Geschäftspolitik der Tabakindustrie können indonesische Kinder nicht zählen. Es gibt zwar ein gesetzliches Abgabeverbot von Tabakwaren an Minderjährige, aber Sanktionen hat kein Tabakdealer zu befürchten. Laut einer Studie der Entwicklungshilfeagentur Swisscontact ignorieren in Indonesien etwa 45 Prozent der Staatsbediensteten das Rauchverbot - kein Wunder, dass selbst die wenigen Nichtraucherschutzgesetze nicht eingehalten werden.

Tabakwerbung ist in Indonesien allgegenwärtig, geschützte rauchfreie Bereiche existieren weder in Behörden, noch in Büros, Gaststätten oder Restaurants. Sogar in öffentlichen Verkehrsmitteln und Schulen wird ohne Rücksicht gequalmt, ebenso in den Einkaufszentren. Die Zigarettenpreise in Indonesien, etwa ein Dollar pro Packung, zählen zu den niedrigsten weltweit.

Selbst vom Gesundheitssystem haben die Opfer dieser Tabakpolitik keine Hilfe zu erwarten. Es fehlt nicht nur der indonesischen Bevölkerung völlig am Gefahrenbewusstsein bezüglich des Tabakkonsum, selbst medizinisches Personal erscheint von der Nikotindrogenpropaganda geradezu gehirngewaschen. So behandelt das Griya-Balur-Krankenhaus in Jakarta Patienten mit tabakrauchbedingtem Lungenemphysem durch "göttliche Zigaretten", die in Lungen, Ohren und Nase geleitet werden. Das Klinikpersonal beschwört, dass Tabak Krebs heilen könne.

Indonesion ist (neben den USA) eines der wenigen Länder, das die WHO-Tabakrahmenkonvention nicht unterzeichnet hat. Kritiker führen dies auf den starken Einfluss der Tabakmultis auf die Regierung zurück. Das Geschäft mit Tabakdrogen sorgt für etwa sechs Milliarden an Steuereinnahmen (fast ein Zehntel des Staatsbudgets), etwa 600.000 Arbeitskräfte sind direkt in der Nikotindrogenbranche beschäftigt und etwa 3,5 Millionen Tabakbauern leben ebenfalls davon. Während der Fußballweltmeisterschaft im vergangenen Jahr war fast jeder zweite Werbeplatz für Tabakwaren reserviert.

Gegen diese wirtschaftliche Übermacht der Tabakdrogenindustrie kann sich Widerstand nur sehr langsam durchsetzen. Angesichts von 400.000 Tabaktoten und 25.000 Passivrauchopfern (so die Zahlen der WHO) wächst jedoch der Druck auf die Regierung, wenigstens international übliche Mindeststandards zum Schutz vor der Tabakdroge einzuführen. Urspünglich kleine Gesundheitsinitiativen haben sich inzwischen zu einer breiten Bewegung entwickelt. In Leserbriefen fordern Betroffene mehr staatlichen Schutz. Studenten demonstrieren zu Tausenden für einen besseren Schutz vor Zwangsmitrauchen. Muslimische Organisationen mit Millionen Mitgliedern lehnen das Rauchen ab, da es eine Form des Selbstmordes darstellt.

Proteste von Tabakgegnern konnten im vergangenen Jahr erfolgreich das Sponsoring eines Konzerts des amerikanischen Popstars Kelly Clarkson durch ein Tabakunternehmen verhindern. Es zeichnet sich in der Qualmhölle Indonesiens ein Hoffnungsschimmer auf ein selbstbestimmtes Leben ohne Zwangsmitrauchen ab. Doch die Nikotindrogenhersteller werden ihre Milliardengewinne sicher auch weiterhin mit Zähnen und Klauen verteidigen. Dass selbst der Verlust von Millionen Menschenleben der Tabakindustrie nichts bedeutet, demonstriert sie seit Jahrzehnten - Hauptsache, die Kunden leben lange genug, um sich melken zu lassen.

Nicht nur in Indonesien, auch in anderen aufstrebenden Ländern wanzt sich die Tabakindustrie aggressiv an die Jugend heran. Wie die britische Tageszeitung "The Independent" berichtet, haben die Nikotindrogenhersteller in Nigeria, der Ukraine oder Brasilien Club-Nächte und Parties mit dem Ziel gesponsert, Jugendliche als Kunden zu gewinnen. In Russland werden besonders Mädchen und junge Frauen von der Tabakdrogenindustrie durch Zigarettenpackungen im Design von juwelenbesetzten Parfümfläschchen verführt, Glimmstängel werden unter dem Mode-Label "Yves Saint Laurent" vertrieben.

Wie sehr die Tabakgiganten ihre Marktmacht zu Lasten ihrer "neuen Märkte" missbraucht, zeigt ein weiterer vom "Independent" aufgezeigter Fall. Demzufolge hatten ein Dutzend Tabakdrogenhersteller und -händler die Kippenpreise in reichen Ländern wie Großbritannien durch illegale Preisabsprachen künstlich in die Höhe getrieben, während sie in armen Ländern wie Indien und Malawi die Preise der Tabakbauern immer weiter nach unten drückten. Die verhängten Strafen für dieses illegale Geschäftsgebaren im Bereich von einigen hundert Millionen britischen Pfund können von den Tabakmultis angesichts mehrstelliger Milliardengewinnen aus der Portokasse beglichen werden.

Trotz ihrer gebetsmühlenhaft wiederholten Warnungen vor der angeblichen Schmuggelgefahr durch höhere Tabaksteuern hatten die großen Zigarettenhersteller selbst die Preise ihrer Tabakwaren kräftig nach oben getrieben. In Malawi dagegen erhielten die Tabakbauern in diesem Jahr laut "Independent" mit durchschnittlich 0,47 Pence pro Kilo Tabak weniger als die Hälfte des im Jahr 2009 erzielten Preises von 1,06 Pfund. Diese Hungerlöhne grenzen beinahe an Sklaverei und begünstigen zudem massiv die Kinderarbeit. Der afrikanische Staat, ohnehin einer der ärmsten der Welt, wird immer stärker in die Abhängigkeit von der Tabakindustrie getrieben. Der Raubbau an der Natur für den Tabakanbau zerstört nicht nur das Land, sondern stürzt auch die Bevölkerung immer stärker in ein Ernährungsproblem.

Welchen gewaltigen Druck die Tabakdrogenindustrie auf die Schwellen- und Entwicklungsländer ausübt, lässt sich ebenfalls am Beispiel Uruguays ablesen. Nachdem der südamerikanische Staat strengere Gesetze zum Schutz vor Passivrauchen und zur Aufklärung über die Gefahren des Tabakkonsums erlassen hatte, machte der Philip-Morris-Konzern Druck auf die Regierung. Als dieser erfolglos blieb, verklagte der Nikotindrogenhersteller das Land auf mindestens zwei Milliarden Dollar Schadenersatz. Angeblich seien die Maßnahmen geschäftsschädigend und würden zudem Vertragsbruch durch die Regierung darstellen.

Diese Klage gegen Uruguay wird als eindeutige Warnung angesehen: wer sich mit der Tabakindustrie anlegt, kann nicht auf Gnade hoffen. Und trotz aller gegenteiliger Bekenntnisse der Tabakindustrie zu ihrer "sozialen Verantwortung" macht diese Klage unmissverständlich klar, dass der Gewinn der Nikotindrogenindustrie in allen Fällen vor gesundheitlichen oder anderen existenziellen Interessen eines ganzen Volkes geht. Der Jahresumsatz des Philip-Morris-Konzerns übersteigt bei weitem das Bruttosozialprodukt des südamerikanischen Staats. Einer der weltweit mächtigsten Konzerne pickt sich aus den schwächsten Gegnern ein beliebiges Opfer heraus.


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