70 Prozent der rauchenden Jugendlichen wollen aufhören (und können meist nicht)
[07.03.2009/pk]
Kanadische Wissenschaftler der Universität Montreal fanden in einer Studie heraus, dass Kinder bereits vom Passivrauchen eine Nikotinabhängigkeit entwickeln können. Der Nachwuchs von Rauchern, der zu Hause oder im Auto regelmäßig Tabakrauch ausgesetzt war, zeigte in erschreckend vielen Fällen Symptome der Nikotinsucht. Anzutreffen waren die typischen Entzugserscheinungen von Nikotinabhängigen: Stimmungsschwankungen, Konzentrations- und Schlafstörungen, Angstzustände, Reizbarkeit oder übermäßiger Appetit. Dabei hatten die betroffenen Kinder selbst noch nie eine Zigarette angerührt.
Die Studie widerlegt die bisher geläufige Meinung, dass alleine vom Passivrauchen noch niemand süchtig werden könnte. Insbesondere bestätigt diese Studie nach Aussage der Wissenschaftler die Bedeutung des Rauchverzichts in Gegenwart von Kindern. Sie stellt auch ein wichtiges Argument für die Forderung nach einem Rauchverbot im Auto dar.
Diese Erkenntnis liefert auch einen Hinweis darauf, warum in Raucherhaushalten aufwachsende Kinder häufiger selbst zu Rauchern werden. Hinzu kommt, dass in einem Raucherhaushalt Kippen leichter zum Ausprobieren verfügbar sind, und rauchende Eltern gegenüber der Gefahr des Tabakkonsums bei Kindern und Jugendlichen weniger restriktiv sind. So werden nach Aussage des schweizer Mediziners Dr. Paul Ruff die Kinder rauchender Mütter zweimal häufiger süchtig als Kinder abstinenter Eltern.
Insbesondere in Zusammenhang mit einer bestimmten Variation des Gens CYP2A6 werden Kinder schneller nikotinabhängig, auch wenn sie nur zwei oder drei Zigaretten täglich rauchen, wie Studienleiterin Jennifer O'Loughlin in weiteren Studien herausgefunden hatte. Dr. O'Loughlin erforscht mit Unterstützung der "Canadian Cancer Society", welche genetischen Faktoren und Umwelteinflüsse sich auf die Entwicklung einer Nikotinabhängigkeit bei Jugendlichen auswirken.
Studienleiterin O'Loughlin: "Diese Ergebnisse zeigen, warum bei manchen Kindern schon eine kurze Tabakeinwirkung in den Entwicklungsjahren zu einer langfristigen Abhängigkeit führen kann". Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass Nikotin abhängig macht. Diese Studie ist jedoch die erste, die das Entstehen der Sucht bei Heranwachsenden erforscht. Dr. O'Loughlin erhofft sich von ihren Erkenntnissen bessere und wirkungsvollere Präventions- und Entwöhnungsprogramme, die speziell auf junge Menschen zugeschnitten sind.
Denn nicht nur die Prävention ist bei Jugendlichen ein wichtiges Thema. Das Problem der Tabakentwöhnung gehört für viele rauchende Teenager bereits zur bitteren Realität. Wie Jennifer O'Loughlin herausfand, versuchen zum Rauchen verführte Jugendliche im Durchschnitt bereits nach zweieinhalb Monaten ihren ersten Ausstieg aus der Tabakdroge. Die meisten jugendlichen Raucher unternehmen meist mehrfache Versuche, sich das Rauchen wieder abzugewöhnen - in der überwiegenden Zahl der Fälle jedoch erfolglos. Nachdem sie einundzwanzig Monate am Glimmstängel hängen verlieren die meisten jegliche Zuversicht, jemals wieder von der Tabakdroge loszukommen.
Jugendliche Raucher durchlaufen dabei typischerweise folgende Stadien der Nikotinsucht:
Ein oder zwei Monate nach ihrem ersten Zug an einer Kippe erklären sie zuversichtlich, das Rauchen endgültig wieder aufgegeben zu haben.
Mit der wachsenden Erkenntnis, dass dies eine ernsthafte Anstrengung erfordert, artikulieren sie den bewussten Wunsch aufzuhören.
In den folgenden zwei Jahren verlieren sie mit steigendem Verlangen und Entzugserscheinungen langsam die Zuversicht, sich das Rauchen wieder abgewöhnen zu können.
Ein Jahr später rauchen sie täglich und müssen erkennen, dass sie deshalb noch rauchen, weil sie einfach nicht mehr aufhören können.
Nachdem sie zwei Jahre täglich qualmen zeigen die jugendlichen Raucher eine ausgewachsende Tabakabhängigkeit mit allen Symptomen.
Dr. O'Loughlin fand heraus, dass mehr als 70 Prozent der Jugendlichen den ernsthaften Wunsch zum Aufhören äußerten. Gerade einmal 19 Prozent schafften es jedoch tatsächlich, zum Ende der Studie wenigstens für ein Jahr abstinent geblieben zu sein. Mädchen äußerten häufiger als Jungen den Wunsch aufzuhören, und setzten einen solchen auch öfter in die Tat um.
Die Teilnehmer der fünfjährigen Studie waren zu Beginn zwischen 12 und 13 Jahren alt. Die Jugendlichen, die gerade mit dem Rauchen begonnen hatten, griffen innerhalb von neun Monaten nach ihrem ersten Zug monatlich zum Glimmstängel. Innerhalb von 19 Monaten nach dem ersten Zug steigerten sie sich auf wöchentlichen Tabakkonsum. Und bereits innerhalb von weiteren vier Monaten mussten sie bereits täglich rauchen.
Die Studienleiterin sieht ein deutliches Verlangen der Jugendlichen, sich aus dem Würgegriff der Nikotinsucht zu befreien. Deshalb fordert sie die Entwicklung und Umsetzung wirkungsvoller Maßnahmen zur Tabakkontrolle, "bevor es zu spät ist". Rob Cunningham von der "Canadian Cancer Society" fordert als Konsequenz, dass weitaus mehr unternommen werden müsse, um Kinder vor der Tabakdroge zu schützen. Aufklärungskampagnen, gesetzliche Regelungen und Steuererhöhungen müssten in Verbindung mit staatlichen Maßnahmen zur Schmuggelbekämpfung eingeleitet werden - billige Zigaretten halten jugendlichen Raucher vom Ausstieg ab.