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"bel air" zeichnet rauchfreie Münchner Lokale aus

[24.11.2005/cc] Die private und ehrenamtliche Initiative, die vor neun Monaten aus der "nahrungs-kette" unter Führung von Frau Dr. Inci Sieber hervorgegangen war, lud am Dienstag, 22. November 2005, Gastronomen und Presse in den rauchfreien hübschen Raum Botticelli im Münchner Ratskeller ein. Hier verlieh die Schirmherrin Edith von Welser-Ude nach einem Austausch von Statements und einer lebhaften Diskussion Auszeichnungen an die teilnehmenden Lokale.

Beeindruckend ist die Reihe der Kooperationspartner, die sich bel air ins Boot holen konnte: AOK, KVB, BHG, NID, ÄARG, Kinderschutzbund, Bund Naturschutz. Die AOK unterstützt als "Gesundheitskasse" die bel air Initiative als sinnvolle Präventionsmaßnahme. Von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) wurden Dateien über die für eine Teilnahme in Frage kommenden Münchner Lokale erstellt, deren Versand die AOK übernommen hat. Aktuell wurden "Ärzte-Flyer" über das Projekt (mit Lokalliste) von der AOK gedruckt und in den AOK Geschäftsstellen ausgelegt. Der Versand der Flyer an etwa 5.000 Arztpraxen in Bayern erfolgt über die KVB.

Dr. Axel Munte, Vorstandsvorsitzender der KVB, kritisierte die Haltung der Bundesregierung. Deutschland ist weltweit Schlusslicht beim Nichtraucherschutz. 90 Länder haben bereits Nichtraucherschutzgesetze verabschiedet. Hierzulande explodieren die Kosten im Gesundheitswesen, die Bevölkerung beklagt eine "Zwei-Klassen-Medizin". Es bleibt aber unberücksichtigt, dass von 800.000 Toten im Jahr zirka 140.000 mit dem Rauchen zu tun haben. 30 Prozent aller Krebsfälle lassen sich auf das Rauchen zurückführen. Raucher haben im Schnitt 5 bis 10 Jahre weniger Lebenserwartung " das ist ein Verlust von gut 10 Prozent. Munte äußerte die Meinung, dass auch Ärzte hier stärker in die Pflicht genommen werden müssen.

Dr. Munte beschrieb das Aussehen eines Neugeborenen von kettenrauchenden Eltern. Als beängstigend schildert er die Situation von Raucherkindern. Von Geburt an, häufig sogar schon in der Schwangerschaft, werden diese armen Wesen in ihrer Entwicklung und auch unter dem gesundheitlichen Aspekt für ihr ganzes Leben geschädigt.

Dramatisch sieht Munte die Entwicklung, dass bereits 12-/13-jährige Kinder regelmäßig rauchen. Es ist wichtig, dass die Schulen hier in Prävention und Aufklärung eingebunden werden. Jugendliche müssen vom Rauchen abgehalten werden, wenn Deutschland nicht auf eine finanzielle Katastrophe im Gesundheitswesen zusteuern will. Das betrifft auch das EU-weite Tabakwerbeverbot, das einzig von der Bundesregierung blockiert wird.

Dr. Munte's Fazit: es ist höchste Zeit für ein Gesetz, Berlin muss handeln.

Großes Kompliment von allen Anwesenden ging an die "Pioniere" unter den Gastronomen, die auf eigenes Risiko dem europaweiten Trend Rechnung tragen. Das anschließende Gespräch mit den Gästen aus Gastronomie und Politik vermittelte einen Eindruck von der Praxis. So wurde z.B. im Haberl-Restaurant am Chinesischen Turm, das auf die bel air-Initiative hin einen NR-Bereich im Innen- und Außenbereich eingerichtet hat, dem nicht rauchenden Personal die Wahl gelassen, wo sie bedienen wollten. Sie entschieden sich mehrheitlich für den neu geschaffenen NR-Bereich, müssen aber jetzt zum Teil durch rauchende Kollegen ergänzt werden, weil diese Plätze wesentlich stärker nachgefragt werden als die im Raucherbereich. Der Geschäftsführer musste beim Personal zunächst ebenfalls Aufklärungsarbeit leisten, warum Rauchverbote auch im Freien sinnvoll sind. Das Angebot wird durchweg sehr gut angenommen. Das Restaurant am Chinesischen Turm ist auch Mitglied im Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband (BHG) und wird hoffentlich auch den skeptischen Kollegen von seinen positiven Erfahrungen berichten.

Die hierzulande erst zaghaft zustande kommenden ersten positiven Erfahrungen werden durch einen Blick über die Grenzen bestätigt. Irland mit gut eineinhalb Jahren und Italien mit einem knappen Jahr seit Einführung des Rauchverbots in der Gastronomie verzeichnen keineswegs den von den Gastronomenverbänden düster prophezeiten Umsatzeinbruch. Ganz im Gegenteil. Vor allem in der Mittagsgastronomie bringen unter anderem Familien mit Kindern neuen Umsatz.

Diejenigen Gastronomen, die schon länger rauchfrei sind, berichteten ausnahmslos von hoher Akzeptanz auch seitens der Raucher. Einbußen hat keiner zu verzeichnen.

Eine anwesende Journalistin bedauerte die "armen" Raucher, die nach den Worten der Pressevertreterin angeblich ausgegrenzt und vor die Türe geschickt würden. Richtig ist, dass bisher immer die Nichtraucher ausgegrenzt wurden, indem ihnen Wahlmöglichkeiten vorenthalten wurden. Hier gilt leider immer noch Realität: entweder "vollstinken" lassen oder fern bleiben. Der Raucher kann und darf jedoch auch bei einem Rauchverbot überall hingehen, er darf nur nicht überall rauchen. Es soll auch nicht polarisiert werden, die Gesellschaft soll nicht in Raucher und Nichtraucher getrennt werden. Deshalb ist eine Trennung der Räumlichkeiten nicht wirklich sinnvoll. Lieber geht der Raucher ab und zu vor die Türe - den einen oder anderen unterstützt das sogar beim Aufhören.

Eine Dame aus Irland berichtete, dass zahlreiche Raucher unter anderem aus diesem Grund ihr Laster besiegen konnten. Die Raucherquote ging spürbar zurück. Zur Erinnerung: in Irland wurde im März 2004 ein Rauchverbot für alle Arbeitsplätze erlassen. In Irland ist es selbstverständlich, dass diese Regelung für die Gastronomie gilt, aber auch Arbeitsplätze wie Taxis und LKWs (siehe Rubrik Irland).

Bei der ganzen Diskussion kam jedoch eine wichtige Gruppe zu kurz, nämlich die Mitarbeiter in der Gastronomie. Auch sie haben keine Wahl und werden gezwungen, an ihrem Arbeitsplatz ein Schadstoffgemisch einzuatmen, das erwiesenermaßen Krebs erregend ist (MAK-Liste). Der Paragraf 5 der Arbeitstättenverordnung vom 12. August 2004 (BGBII S. 2179) schützt die Arbeitnehmer in allen Branchen. Nur die Gastronomie hat den zweiten Absatz dahingehend ausgelegt, dass es die Natur des Betriebs eben nicht erlaubt, das Rauchen zu untersagen.

Im Allgemeinen ist festzustellen, dass selbst in diesem Kreis engagierter Nichtraucher ein großes Informations- und Wissensdefizit herrscht. Weniger über die Gefährlichkeit der Tabakdrogen, als über Machenschaften der Tabakkonzerne in den Herstellerländern, Werbestrategien oder den so genannten "3. Weg der Tabakindustrie"– wie die Förderung von Kultur- und Sportveranstaltungen oder die Vergabe von Forschungspreisen. Die Erfolge von gesetzlichen Rauchverboten in anderen Ländern (Beispiel Irland) sind hierzulande leider kaum bekannt, da die Berichterstattung der deutschen Presse sehr mager ausfällt. Die mangelnde Aktivität der Bundesregierung in vielen Bereichen, die beispielsweise in einer Ablehnung, ja sogar Klage gegen das EU-Werbeverbot für Tabakprodukte gipfelt, ist den Menschen nicht bewusst.

Gegen dieses Informationsdefizit will auch diese Seite Abhilfe schaffen, denn Information liefert Argumente und stärkt die Position.

Ein schönes Fazit dieser motivierenden Veranstaltung ergibt das von Dr. Inci Sieber zitierte Sprichwort: "Was das Gesetz nicht verbietet, das gebietet der Anstand", dem auch gleich der Schluss folgte: "Also brauchen wir ein anständiges Gesetz".


Quellen und weitere Informationen

Anmerkungen:

Hier der zitierte Paragraf 5, Absatz 2 aus dem Arbeitsstättenschutzgesetz: "In Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr hat der Arbeitgeber Schutzmaßnahmen nach Absatz 1 nur insoweit zu treffen, als die Natur des Betriebes und die Art der Beschäftigung es zulassen."
Beschwerdeautomat
Beschwerde über Verstoß gegen Gleichstellung behinderter Menschen
Petition zum Schutz der Beschäftigten in der Gastronomie vor Zwangsmitrauchen
Abschiedsbrief an Restaurant wegen Rauchbelastung
Anfrage nach rauchfreien Restaurants
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Bayerisches Gesundheitsschutzgesetz besteht erneute Bewährungsprobe
Arbeitsplatz
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