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Bundesverfassungsgericht urteilt: ausnahmsloses Rauchverbot verfassungsgemäß

Gesundheitsschutz und Kinderschutz höher einzustufen als Berufsfreiheit

[07.08.2008/pk] Am 30. Juli traf das Bundesverfassungsgericht (BVG) seine lange mit Spannung erwartete Entscheidung über die Zulässigkeit von Rauchverboten in der Gastronomie. Geklagt hatten einige Gastronomen aus Baden-Württemberg und Berlin, die sich als Kleinstunternehmer gegenüber größeren Gastronomiebetrieben benachteiligt sahen. Der oberste Gerichtshof hat die gesetzlichen Rauchverbote für Einraumkneipen in diesen Ländern auf Grund von Benachteiligung als verfassungswidrig erklärt. Dort darf also ab sofort das Rauchen wieder gestattet werden. Bis Ende des Jahres 2009 müssen die betroffenen Bundesländer ihre gesetzlichen Regelungen gemäß dem jüngsten BVG-Urteil nachbessern.

Allerdings bedeutet dieses Urteil keinerlei bedingungslose Raucherlaubnis für die betreffende Kneipengattung. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Tabakdrogenkonsum klare Grenzen gesetzt. Diese fallen in einigen Punkten sogar deutlicher aus, als dies bisher von verantwortungsscheuen deutschen Politikern geregelt wurde. Der Gerichtsentscheid gestattet nun den Einraumkneipen bis zu einer Größe von 75 Quadratmetern, eine Raucherlaubnis zu erteilen, wenn sich dort keine Jugendlichen unter 18 Jahren aufhalten und keine Speisen angeboten werden. Die Kneipe muss dann am Eingang als Rauchergaststätte ausgewiesen werden. Weiterhin erlaubte das oberste Gericht den badenwürttembergischen Diskothekenbetreibern die Einrichtung separater Raucherräume, wenn dort keine Tanzflächen vorhanden sind und Jugendlichen unter 18 Jahren der Zutritt verwehrt bleibt.

In ihrer Urteilsbegründung betonten die Verfassungsrichter ausdrücklich, "der Gesundheitsschutz sei ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut". BVG-Präsident Papier betonte bei der Urteilsverkündung weiter, "ein generelles Rauchverbot in Gaststätten, das diesem Ziel (Anm. d. Red.: dem Gesundheitsschutz) dient, hätte verfassungsrechtlich Vorrang vor der Berufsfreiheit der Gastwirte und der Verhaltensfreiheit der Raucher".

Damit hat das Bundesverfassungsgericht weder das Rauchverbot an sich als verfassungswidrig eingestuft, noch die Ländergesetze zum Schutz vor Passivrauchen generell für nichtig erklärt. Als rechtlich unzulässig wurde vom BVG lediglich die Ungleichbehandlung von Gastronomiebetrieben unterschiedlicher Größe beurteilt, die einen Wettbewerbsnachteil für kleinere Kneipen bedeuten könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich betont, dass ein ausnahmsloses Rauchverbot verfassungskonform ist, weil es auch diese kritisierte Wettbewerbsverzerrung verhindert.

Nebenbei bemerkt haben die Verfassungsrichter mit diesem Urteil die Einschätzung unabhängiger Organisationen bestätigt, die seit Jahren vergeblich vor einer wettbewerbsverzerrenden Politik beziehungsweise Gesetzgebung gewarnt hatten. Als Fazit lässt sich hier feststellen, dass deutsche Politiker durch die tatkräftige "Hilfe" der Tabaklobby verfassungswidrige Gesetze produzierten.

Nikotinfixierte Gastronomen weilten nach der Urteilsverkündung bereits im Freudentaumel, während Gesundheitsexperten zunächst enttäuscht den Kopf hängen ließen. Im neu aufkeimenden Nikotinrausch verstiegen sich einige Wirte in öffentliche Gedanken über die Geltendmachung von Schadensersatzforderungen. Doch für voreilig eingebaute Trennwände oder Lüftungsanlagen kann der Gesetzgeber von Rechts wegen nicht haftbar gemacht werden. Im Übrigen suchen sich diese Wirte nur einen bequemen Sündenbock.

Sinnvoller wäre es, wenn die Gastronomen ihre Schadensersatzforderungen an die Adresse des DEHOGA richten würden. Denn der Verband hat durch seine Desinformationspolitik die Gastronomen in die Irre geführt. Es ist bekannt, dass keinerlei wirksame Technik zur Filterung der Schadstoffe im Tabakrauch existiert. Wer trotzdem Lüftungsanlagen als Lösung des Passivrauchproblems anpreist, wie beispielsweise DEHOGA und Tabaklobby, der handelt verantwortungslos. Den Schaden dieser Verbandspolitik tragen letztendlich die Wirte.

Die Euphorie der Wirte treibt angesichts des höchstrichterlichen Urteils bereits neue kuriose Blüten, noch ehe dieses überhaupt von den Landesregierungen diskutiert, geschweige denn in der Gesetzgebung berücksichtigt werden konnte. So arbeiten nikotinfixierte Wirte bereits an neuen Schlupflöchern zur Umgehung des Rauchverbots, wie ein Artikel der Münsterschen Zeitung offenbart. So wie in manchen Bundesländern Kneipen zu Raucherclubs oder sogar Kirchen umdeklariert wurden, so beginnt nun die Trickserei zum Unterschreiten der 75 Quadratmetergrenze oder der Entfernung von Wänden, um damit als hinreichend kleine Einraumkneipe den Tabakkonsum straffrei zu ermöglichen. Die Münstersche Stadtverwaltung ist bereits auf entsprechende Bauvoranfragen zur Verkleinerung von Einraumkneipen vorbereitet. Derweilen kann man gespannt darauf warten, wann der erste Großgaststättenbesitzer seine Räumlichkeiten einzeln (jeweils als Einraumkneipe unter 75 Quadratmeter) an seine Familienmitglieder aufteilt, oder sie an seine Kellner als Franchising-Partner verpachtet.

Diese Aussichten und die bereits erlittene Schlappe der Politiker mit ihrem ersten tabakfreundlichen Gesetz sollten endlich jedem klar machen, dass kein Weg an einem einheitlichen und ausnahmslosen Rauchverbot vorbei führt. Zum Vergleich: Irland hat von Anfang an ein konsequenten Gesetz auf den Weg gebracht, damit seine Gastronomen vor Wettbewerbsverzerrungen geschützt und die Gerichte vor sinnloser Belastung durch nikotinfixierte Wirte bewahrt.

Aus Sicht einiger Bundesländer ist das Urteil des obersten deutschen Gerichts höchst peinlich. Aber vielleicht beginnt nun gerade deshalb so langsam auch in den Ländern ein Umdenkprozess. Bei Vertretern aller Fraktionen und sogar auf Bundesebene wird ein konsequentes Rauchverbot immer populärer. Selbst hartgesottenen Politikern wird langsam klar, dass die übermächtige Tabakindustrie über kurz oder lang jedes noch so kleine Schlupfloch zum Einfallstor für ihre tödlichen Drogen ausweiten wird, und damit die einzige dauerhaft tragbare Lösung die Nulllösung ist - ein vollständiges und ausnahmsloses Rauchverbot. Gestützt werden diese Forderungen von der Weltgesundheitsorganisation WHO, die auch für Deutschland ein Rauchverbot ohne Ausnahmen fordert.

So weicht auch die erste Enttäuschung der Gesundheitsexperten über das BVG-Urteil mittelfristig einer positiven Perspektive. Die Verfassungsrichter haben wichtige Eckpunkte für zukünftige gesetzliche Regelungen festgelegt. Die Verfassungsmäßigkeit ausnahmsloser Rauchverbote und die überragende Bedeutung des Gesundheitsschutzes vor der Gewerbefreiheit stellen hierbei zentrale Aspekte dar. Ausdrücklich betont wurden in diesem Zusammenhang vom Bundesverfassungsgericht auch die von der Nikotinlobby immer wieder angezweifelten Risiken des Passivrauchens.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat jedoch insbesondere für den Schutz von Kindern und Jugendlichen eine geradezu historische Bedeutung, die weit über den Bereich der Gastronomie hinausgeht. Das Gericht hat dem Gesundheitsschutz von Kindern und Jugendlichen einen so hohen schützenswerten Stellenwert eingeräumt, dass es das Betreten der Raucherkneipen nur Personen ab 18 Jahren erlaubt. Konsequenterweise ist es laut Auffassung der Verfassungsrichter generell verfassungswidrig, Minderjährige dem Tabakrauch auszusetzen. Das Gericht hat hier (bewusst oder unbewusst) einen bestimmten Maßstab gesetzt. Im Sinne des von ihm bei der Raucherlaubnis für wesentlich erachteten Gleichheitsprinzips dürfen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren nirgendwo mehr beraucht werden.


Quellen und weitere Informationen

Anmerkungen:

Am 12. August 2008 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVG) auch über die Klagen einiger rauchender Wirte aus Bayern, die das bayerische Nichtraucherschutzgesetz zu Fall bringen wollten. Nach Ansicht des BVG ist das bayerische Gesetz jedoch (im Gegensatz zu den im obigen Artikel beschriebenen Regelungen) nicht zu beanstanden.

Besondere Beachtung verdient von den Erläuterungen des BVG noch ein Aspekt der bayerischen Raucherclubs. Die Verfassungsrichter stellten unmissverständlich klar, dass die Mitgliedschaft in einem solchen nicht einfach im Vorbeigehen erwerbar sein darf, sondern an strengere Kriterien (wie beispielsweise auch bei einer Vereinsmitgliedschaft) gebunden sein muss. Insbesondere müssen die Raucherclubs, so die obersten Richter, "Laufkundschaft" zurückweisen; ein Erwerb der Mitgliedschaft am Eingang des Lokals ist illegal.

Die bisherige Praxis der nahezu beliebigen Ausstellung von so genannten Mitgliedsausweisen, wie sie auch vom Münchner Kreisverwaltungsreferatschef Blume-Beyerle toleriert wurde, ist also definitiv rechtlich nicht akzeptabel.


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