Geldkarte kann Jugendschutz am Zigarettenautomaten nicht gewährleisten
Bundesdrogenbeauftragte lässt sich vor den Karren der Tabakindustrie spannen
[26.05.2006/pk]
Ab 2007 sollen alle Zigarettenautomaten ihre Drogen nur noch bei Verwendung einer Chipkarte herausgeben, die ein Altersmerkmal trägt. Die Tabakindustrie will dadurch nach eigenen Worten verhindern, dass Jugendliche unter 16 Jahren Zugang zu Tabakwaren erhalten, um damit der Neufassung des Jugendschutzgesetzes von 2003 zu entsprechen.
Die wahre Motivation der Zigarettenproduzenten für die Umrüstung der Automaten liegt aber wieder einmal ganz woanders, wie sich einem Bericht der Welt entnehmen lässt. Demnach stellte die Tabakindustrie vor drei Jahren in einer Untersuchung fest, dass bisher für viele Raucher das größte Hindernis beim Automatenverkauf das mangelnde Kleingeld darstellte. Nach damaliger Schätzung sollte sich der Umsatz an den Zigarettenautomaten durch eine Umrüstung auf Chipkartenbezahlung um bis zu dreißig Prozent steigern lassen.
Die Verpflichtung zur Einhaltung des verschärften Jugendschutzgesetzes wurde in diesem Zusammenhang von der Tabakindustrie gleich doppelt zu einem geschickten Marketing-Schachzug genutzt. Durch die Umrüstung der Automaten auf Chipkarte setzt sie sich als angeblicher Protagonist des Jugendschutzes in Szene. Zudem präsentieren sich die Tabakdrogenhersteller wieder einmal in ihrer beliebten Opferrolle, da sie angeblich gegen ihren Willen einige Millionen investieren müssen.
Seit dem 11. März 2006 rührt die Marketingmaschinerie der Tabakindustrie erneut kräftig die Werbetrommel, um das Automatengeschäft weiter anzukurbeln. Trotz aller Warnungen und Proteste ließ sich sogar die ehrgeizige Drogenbeauftragte des Bundes, Sabine Bätzing, für die Werbekampagne der Tabakbranche einspannen. Stolz verkündete sie, die sich für diese Aktion sogar mit einem Zigarettenautomaten ablichten ließ, mit der Einführung der Chipkarte werde "eine wichtige Lücke für das Abgabeverbot an unter 16-Jährige und für den Nichtraucherschutz geschlossen".
Dabei kritisieren Fachleute seit langem, dass diese Hürde für die betreffenden Jugendlichen nur eine geringe Einschärnkung darstellt. Unverständlicherweise wurde selbst auf einen PIN-Schutz verzichtet. Dieser wäre die billigste und einfachste Möglichkeit zur Verhinderung eines Missbrauchs durch Unbefugte. Der Verzicht auf diesen einfachen Schutzmechanismus ermöglicht es Kindern, beispielsweise unbemerkt die Karte von ihren Eltern "auszuleihen", um sich damit problemlos mit Nikotindrogen eindecken zu können.
Zu Recht kritisieren Die Grünen die Werbeaktion der Bundesdrogenbeauftragten für die Tabakindustrie. Harald Terpe, drogenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, bezeichnet die Einführung der Chipkarte an Zigarettenautomaten als "reine Augenwischerei". Die gigantische Anzahl von Automaten stellt eine gewaltige Werbefläche für Tabakdrogen dar, die Jugendliche über 16 geradezu animiert, Zigaretten zu kaufen.
Die Deutsche Krebshilfe bezeichnet die Alterskontrolle per Chipkarte ebenfalls als halbherzig. Geschäftsführer Gerd Nettekoven fordert die Abschaffung aller Zigarettenautomaten: "Die ständige Verfügbarkeit von Zigaretten trägt dazu bei, dass viele Jugendliche das Rauchen für normal halten. Wir wünschen uns eine Trendwende in unserer Gesellschaft: Nichtrauchen sollte der Normalzustand sein". Nettekoven weiter: "Denn gerade Kinder und Jugendliche müssen vor der Versuchung geschützt werden. Rauchen ist der größte vermeidbare Gesundheitsrisikofaktor".
Trotz der Reduzierung von Tabakwarenautomaten im Zuge der Umstellung auf die Geldkarte stehen in Deutschland immer noch mehr Zigarettenautomaten als in allen anderen Ländern zusammengenommen. An mehr als einer halben Millionen dieser Geräte können sich Raucher Tag und Nacht mit dem Suchtstoff versorgen. Nirgendwo sind Lebensmittel auch nur annähernd so verfügbar wie die Nikotindroge.
Die gesunkene Anzahl der Tabakwarenautomaten in Deutschland kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Automaten weiterhin einer der wichtigsten Absatzzweige für Tabakdrogen bleiben werden. Entfernt werden nur veraltete kleine Automaten, deren Umrüstung sich nicht mehr rentiert. Statt dessen werden immer größere und luxuriösere Geräte aufgestellt, die sich mit weniger Personalaufwand befüllen und warten lassen. Die sinkenden Mengen an Kleingeld in den Automaten müssen nicht nur weniger häufig eingesammelt werden, sondern machen die Geräte auch weniger attraktiv für Automatenknacker. Diese sind kein geringes Problem für die Automatenaufsteller, wie den Polizeiberichten jährlich in Tausenden Fällen zu entnehmen ist.
Viele europäische Länder bieten seit Jahren ein exzellentes Vorbild, wie sich der Schutz der Jugend vor Tabakdrogen erfolgreich umsetzen lässt. In Frankreich dürfen diese nur in speziellen Geschäften verkauft werden. Zigarettenautomaten auf der Straße sind dort undenkbar, ebenso in Ländern wie Italien, Großbritannien, Irland und weitere. In Irland sind selbst die Zigarettenautomaten unter Aufsicht, beispielsweise in Pubs und Bars, nur mit Hilfe eines Chips zur Zigarettenausgabe zu bewegen, der gegen Vorlage eines amtlichen Lichtbildausweises beim Wirt erhältlich ist, und auch nur für über 18-Jährige. Wie lächerlich der Einsatz der Geldkarte als Ausweis und Altersnachweis ist kann jeder selbst ausprobieren. Warum nicht einfach einmal die Geldkarte bei der nächsten Polizei- oder Grenzkontrolle anstelle ordentlicher Papiere mit Lichtbild vorlegen...?