Studie von AvD und BAT enthüllt millionenfache Kindesmisshandlung
Ergebnis wird als besondere Rücksichtnahme rauchender Eltern vermarktet
[29.03.2006/pk]
In Deutschland werden immer noch Millionen Kinder im Auto einer Schädigung
durch Passivrauchen ausgesetzt. Dies ist das Ergebnis einer Studie aus dem
Jahr 2005 zum Rauchverhalten im Auto, die vom Automobilclub von Deutschland
(AvD) und dem Tabakkonzern British American Tobacco Germany (BAT) durchgeführt
wurde. Die Tabaklobby prangert aber nicht diesen Missstand an, sondern
verkehrt das skandalöse Ergebnis durch Rechenakrobatik ins Gegenteil und
vermarktet es öffentlichkeitswirksam als besondere Rücksichtnahme der
rauchenden Eltern.
AvD und BAT hatten im vergangenen Jahr eine Studie zum Rauchverhalten am
Steuer durchgeführt. Glaubt man der Darstellung, die auf den Webseiten
und Pressemitteilungen verbreitet wird, so sieht das Ergebnis
auf den ersten Blick recht positiv aus. Es entsteht der Eindruck, dass sich
bei den Rauchern längst die Einsicht durchgesetzt hat, dass der Tabakrauch
die Mitmenschen schädigt. Angeblich verzichten die Raucher auf das Rauchen
im Auto aus Rücksicht auf Mitfahrer, insbesondere wegen der am stärksten
gefährdeten Kinder.
Nur 51,2 Prozent der in der Studie befragten Raucher gaben an, während
der Fahrt auf das Rauchen zu verzichten. Bei den Gründen hierfür tritt jedoch
eine unangenehme Überraschungen zutage. Denn für die Hälfte
dieser Personengruppe ist die Motivation dafür nur der Werterhalt ihres
Fahrzeugs, der mit der Vermeidung unangenehmer dauerhafter Gerüche in ihrem
Vehikel einhergeht. Ein weitaus geringerer Anteil (21,7 Prozent) ist bereit,
"aus Höflichkeit gegenüber den Mitfahrern" und zur Vermeidung eines schlechten
Vorbilds für Kinder auf das Rauchen unterwegs zu verzichten. Auch die Gesundheit
der Kinder ist für weniger als 20 Prozent der rauchenden Fahrer ein Grund für
einen Verzicht.
Aber nicht nur diese nachrangige Wertschätzung der Gesundheit der Kinder ist
angesichts des Selbstlobes von AvD und BAT für ihre gemeinsame Studie
ein Grund zur Ernüchterung. Nach eigenen
Angaben der befragten Raucher zeigen etwa 16 Prozent keinerlei Bereitschaft,
in Gegenwart ihrer Kinder auf das Rauchen zu verzichten. Was beim ersten
Augenschein noch halbwegs gut aussieht, erweist sich
jedoch als millionenfache Kindesmisshandlung. Selbst "nur" 16 Prozent von
20 Millionen erwachsenen Rauchern, die fast alle über ein KFZ verfügen,
bedeuten, dass etwa 3 Millionen Eltern ihre Kinder im Auto zwangsberauchen!
Dabei ist diese Zahl noch sehr optimistisch, die Realität dürfte noch weitaus
grausamer für die bedauernswerten Kinder aussehen. Denn diese Angaben basieren
auf den Aussagen der befragten Auto fahrenden Raucher, die im Rahmen von "freien
Leitfaden-orientierten Gesprächen ermittelt wurden", so Alfred Fuhr, Leiter
des AvD-Instituts für Verkehrssoziologie. Fuhr weiter: "Viele Fahrer möchten
sich von ihrer besten Seite zeigen und nehmen auch ganz bewusst ihre
Beschützerfunktion am Steuer wahr". Wer unter solchen Aspekten befragt wird,
und von seinem freundlichen Interviewer vielleicht gerade noch eine
Zigarette "zur Entspannung" angeboten bekommen hat, der tendiert angesichts
der negativen Folgen seiner eigenen Sucht nicht gerade zu schonungsloser
und vor allem selbstkritischer Offenheit.
Die große Diskrepanz zwischen dem Selbstverständnis der Raucher, die sich beim
Rauchen als sehr rücksichtsvoll gegenüber ihren Mitmenschen betrachten,
und der konträren Wahrnehmung der betroffenen Mitmenschen wurde bereits im
Jahr 2002 durch eine EMNID-Studie nachgewiesen.
BAT trägt mit seiner Marketing-Kampagne nicht zu einem besseren Kinderschutz
bei, wie auf deren Internet-Auftritt werbewirksam behauptet wird, sondern
lediglich zur Zementierung der Tabakdrogensucht mit all ihren bekannten
Folgen. Die Tabakindustrie versucht also letztendlich nur mit immer
einfallsreicheren Marketing-Tricks, die alltägliche Kindesmisshandlung durch
Tabakrauch zu verharmlosen.
Die einvernehmliche Allianz von AvD und BAT weist sogar eine gewisse zynische
Logik auf. KFZ-Abgase und Tabakrauch gerieten gerade im vergangenen Jahr
durch die Feinstaub-Diskussion immer mehr in Verruf.
Wie interne Dokumente zeigen, verfügt die Tabakindustrie über jahrzehntelange
Erfahrung, wie durch geschicktes Marketing, Beeinflussung von Politikern,
Wissenschaftlern und Journalisten die Gefahren des Rauchens und des
Passivrauchens heruntergespielt und verleugnet werden können. Damit scheint
es für den AvD der einfachste Weg zu sein, sich im Schlepptau des
Tabakgiganten gegen den Druck eines wachsenden Gesundheitsbedürfnisses
mit ethisch nicht hinterfragten Methoden zur Wehr zu setzen.
Werden die Gefahren des Feinstaubs und des Passivrauchens aus der
öffentlichen Diskussion verdrängt, profitieren sowohl Automobil-, als auch
Tabakindustrie. Die Konsequenzen werden auf die Schwächsten unserer
Gesellschaft abgewälzt, auf die wehrlosen Kinder.
Ein Sprecher des AvD erklärte, die "freien leitfaden-orientierten Gespräche" sind ein soziologisch anerkanntes Mittel für derartige Umfragen. Er äußerte weiter, dass BAT bei der Umfrage nicht zugegen war, den Befragten keine Zigaretten angeboten wurden, und das Ergebnis nicht von BAT vorgegeben war.
Somit ist dem durchführenden AvD kein Vorwurf zu machen, er hätte in irgendeiner Weise Einfluss auf das Studienergebnis genommen. Jedoch kann die Aussage des AvD-Studienleiters "viele Fahrer möchten sich von ihrer besten Seite zeigen" sehr leicht missverstanden werden, und könnte einen Hinweis auf eine möglicherweise nicht völlig unvoreingenommene Beantwortung durch die Befragten darstellen.