Was versteht die Bahn unter "rauchfrei"?
Wunschdenken realitätsfremder Bahn-Manager und der Alltag
[16.01.2006/pk]
Die bisherigen Aktivitäten der Bahn in Richtung Rauchfreiheit sind einfach
ein Etikettenschwindel, der sich das wachsende Problembewusstsein der
Öffentlichkeit zunutze macht. Die praktische Umsetzung dieser Maßnahmen ist
in vielerlei Hinsicht absolut unzulänglich, an einer ernsthaften Durchsetzung
zeigt die Bahn ein gerade demonstratives Desinteresse. Zur Veranschaulichung
soll eine kleine Schilderung die tatsächlichen Verhältnisse auf unseren
Bahnhöfen und in unseren Zügen wiedergeben.
Die werbewirksam und opportunistisch als "rauchfrei" angepriesenen Bahnhöfe
sind alles andere als rauchfrei. Auch wenn die Zahl der rücksichtslosen
Qualmer auf den Bahnsteigen bereits abgenommen hat, so wird man als Pendler
täglich auf dem Weg zur Arbeit selbst auf einem angeblich rauchfreien Bahnhof
von Dutzenden qualmender Fahrgäste zum Passivrauchen genötigt.
Auf vielen Bahnhöfen sind Aschenbecher sogar in den rauchfreien Bereichen
angebracht, und vermitteln jedem Nikotinkranken sofort die Botschaft "hier
ist Rauchen erlaubt". So verwundert es nicht, dass selbst auf und neben den
"rauchfreien" Bahnsteigen die Kippen massenweise herumliegen, und auch die
unsinnigerweise angebrachten Aschenbecher trotz Rauchverbots stets mit Kippen
gefüllt sind. Anstatt jedoch eine Durchsetzung des Rauchverbots in Angriff zu
nehmen, hat die Bahn offensichtlich nur das Reinigungspersonal verstärkt, um
wenigstens den schönen Schein rauchfreier Bahnhöfe der Form halber aufrecht
zu erhalten.
Das vielfach offenbar selbst nikotinsüchtige Bahnpersonal, inklusive BSG,
wimmelt Beschwerden wegen qualmender Fahrgäste meist ab, und zeigt auch nach
expliziter Aufforderung keinerlei Bereitschaft zur Durchsetzung des
Rauchverbots. Verstärkt wird dieser Eindruck der völligen Gleichgültigkeit,
weil es auch keinerlei Durchsagen als Aufforderung zur Einhaltung des
Rauchverbots gibt.
Nicht viel besser als auf den Bahnhöfen sieht es in vielen Zügen aus. Der
Qualm breitet sich dank ständig in den Gängen hin- und her laufender Fahrgäste
in die benachbarten Wägen aus, so dass von rauchfreiem Reisen keine Rede sein
kann. Die Bahn ist auch nicht willens und in der Lage, eine rauchfreie
Reservierung in vernünftiger Entfernung der Raucherabteile und Raucherwaggons
anzubieten. Ausgerechnet die Bistros und Speisewagen sind sowieso
Raucherdomäne, so dass nicht nur der Aufenthalt für normale Nichtraucher
dort unmöglich ist, sondern auch noch die dort aufbewahrten und verkauften
Speisen verseucht sind. Ein Horror sind auch die immer noch vielfach
verkehrenden Großraumwägen, in denen Raucherbereiche ohne jegliche Trennung
von den so genannten Nichtraucherbereichen existieren. Zu guter Letzt wird
der Qualm in praktisch allen Zügen, in denen Raucherbereiche vorhanden sind,
durch die Lüftung und pausenlos hin und her rennende Fahrgästen im gesamten
Zug verteilt.
Auf Beschwerden reagieren auch die Service-Stellen der Bahn stets nur mit
nichts sagenden Standardbriefen, ohne auf die geschilderten Probleme
einzugehen. Unzählige Ausreden müssen dafür herhalten, warum es angeblich
nicht besser geht, am häufigsten werden fehlende finanzielle Mittel als
Ursache geäußert. Dabei ließe sich das Problem sehr einfach und effizient
ohne jeglichen finanziellen Aufwand lösen: ein generelles Rauchverbot, bei
dessen Übertretung sofort empfindliche Strafen fällig werden, so wie es
bereits erfolgreich in Irland oder Italien praktiziert wird.
Dass sich die Bahn zudem noch erdreistet, ihre Bemühungen um Barrierefreiheit
über den grünen Klee zu loben ist wirklich der Gipfel der Überheblichkeit.
Raucherbereiche und Raucherinseln vor den Eingängen aller Bahnhöfe und
Zugängen der Bahnsteige sind für fast zehn Millionen Atemwegserkrankte nicht
nur eine Barriere, sie stellen in vielen Fällen sogar eine akute Lebensgefahr
dar, beispielsweise durch einen Asthmaanfall. Wer nicht nur unter einer
leichten Atemwegsbehinderung leidet kann de facto keine öffentlichen
Verkehrsmittel benutzen. Das ist eine offene Diskriminierung.
Diese Schilderungen stellen auch absolut keine Einzelfälle dar. Das zeigt
deutlich, dass die enthusiastischen Pressemeldungen der Bahn zum Thema
Rauchfreiheit bestenfalls als Wunschdenken bezeichnet werden können, aber
nicht annähernd der Realität entsprechen. Es sind noch enorme Anstrengungen
der Bahn erforderlich, um allen Fahrgästen der Bahn eine Benutzung ohne
Zwangsberauchung und ohne Atemwegsbeschwerden durch gesundheitsschädlichen
Tabakqualm zu ermöglichen. Dafür muss aber die Bahn offensichtlich noch
nachdrücklicher darauf hingewiesen werden, dass der von ihr betriebene
Etikettenschwindel zur Anbiederung bei den Nichtrauchern nicht akzeptiert
wird.
Insbesondere müssen alle Züge umgehend komplett rauchfrei werden, und alle
Raucherinseln sofort von den so genannten "rauchfreien Bahnhöfen" verschwinden.
Das Rauchverbot muss durch empfindliche Strafen sanktioniert werden, die
einerseits die Raucher weitestgehend vor einer Übertretung abschreckt, und
außerdem die Personalkosten für die Kontrollen abdeckt.