Große Koalition will Tabakwerbeverbot nicht weiter verfolgen
[16.11.2005/ls]
Anfang August dieses Jahres trat europaweit ein Tabakwerbeverbot in Kraft. Die meisten EU-Mitgliedsstaaten schafften es auch problemlos und rechtzeitig, die betreffende EU-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Nur in Deutschland gelang es der Bundesregierung wieder einmal, ein vom Bundestag nach langem Zögern verabschiedetes Gesetz durch bürokratischen Schlendrian noch weiter hinauszuschieben. Als Ausflucht musste zuletzt sogar die Bundestagswahl herhalten, die angeblich keine Zeit mehr für die notwendige Umsetzung ließ. Trotz der Bemühungen der bisherigen Verbraucherschutzministerin Renate Künast ist das Gesetz in Deutschland bis heute immer noch nicht in Kraft getreten.
Mit Horst Seehofer als neuem Verbraucherschutzminister sollen nun die Bemühungen der scheidenden Vorgängerin offensichtlich vollständig zunichte gemacht werden. Seehofer, der sich bereits als Gesundheitsminister der Kohl-Regierung als Verfechter des Tabakdrogenkonsums profiliert hatte, will in Einklang mit Brigitte Zypries das von Ex-Verbraucherschutzministerin Künast auf den Weg gebrachte Tabakwerbeverbot "nicht länger verfolgen". Auch die Klage gegen das Tabakwerbeverbot vor dem Europäischen Gerichtshof will die große Koalition aufrecht erhalten.
Zur Erinnerung: Brigitte Zypries ist nicht nur alte und neue Justizministerin des Bundes, sondern auch diejenige Person, nach deren Aussage es in Deutschland angeblich keine Zigarettenautomaten mehr in der Öffentlichkeit gibt. Die rosarote Ministerinnenbrille macht es offensichtlich möglich, die rund 700.000 Drogenspender einfach zu übersehen. Zusammen mit Horst Seehofer in der Bundesregierung ergibt sich ein Duo, das Schlimmes für die weitere Entwicklung der Bundesdrogenpolitik befürchten lässt.
Ex-Verbraucherschutzministerin Künast betrachtet mit Sorge die erschreckend hohe Raucherquote bei Jugendlichen und die über 300 Todesfälle täglich durch Tabakdrogen. Nach Künasts Äußerungen besteht natürlich eine gerechtfertigte Sorge um die Wirtschaft. Dennoch gibt es Grenzen, "wo es um die Gesundheit oder das Leben von Menschen geht". Diese Prämisse werfen nun Seehofer und Zypries leichtfertig über Bord, und riskieren dafür ein Vertragsverletzungsverfahren der EU einschließlich Strafzahlungen. Also wieder einmal das alte Lied: die Tabakindustrie streicht die üppigen Gewinne ein, aber die Zeche wird durch weiter erhöhte Steuern auf das ganze Volk verteilt.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, kritisiert die geplante Nichtumsetzung der EU-Richtlinie als unverantwortlich. Er fordert: "Gerade Kinder und Jugendliche, die sehr anfällig für Werbung sind, müssen noch wirksamer vom Tabakkonsum ferngehalten werden". Denn es ist durch wissenschaftliche Studien belegt, dass Tabakwerbung den Einstieg in die Nikotinsucht fördert, und das Rauchverhalten festigt.
Hoppe forderte die neue Koalition auf, "die EU-Richtlinie für ein umfassendes Tabakwerbe- und Tabaksponsoringverbot endlich in nationales Recht umzusetzen und die Klage gegen die Richtlinie beim Europäischen Gerichtshof zurückzuziehen". Der Präsident der Bundesärztekammer sieht auch die neue Bundesregierung "in der Pflicht, besonders Kinder und Jugendliche vor dem Einstieg in den Tabakkonsum zu bewahren". Dafür ist auch die Umsetzung des Tabakwerbeverbots gemäß EU-Richtlinie erforderlich.
Unterstützung für diese Forderung dürfte von der zukünftigen Vorsitzenden des Verbraucherausschusses Bärbel Höhn kommen, grüne Bundestagsabgeordnete und frühere Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen. Diese hatte bereits auf Landesebene mehr erreicht als Künast auf Bundesebene, die beispielsweise mit einem Verbraucherinformationsgesetz scheiterte.
Auf der Internet-Seite des nordrheinwestfälischen Verbraucherministeriums ist beispielsweise nachzulesen, bei welchen Imbissbuden zu hohe Werte des Krebs erregenden Acrylamids festgestellt wurden. Dieses Prinzip des "intelligenten Strafens" durch Erzeugung eines Drucks auf Hersteller und Händler will Höhn nun auch bundesweit anwenden.
Damit es aber im Verbraucherausschuss nicht nur um populäre Kundenthemen wie verdorbenes Fleisch geht, muss allen Beteiligten die Dringlichkeit eines verbesserten Schutzes vor den vielfältigen Gesundheitsgefahren des Passivrauchens ebenso nachdrücklich vermittelt werden, wie die Notwendigkeit eines effektiven Durchsetzung des Jugendschutzes, die ohne deutliche Einschränkung der Tabakdrogen immer ein Kampf gegen Windmühlen bleiben wird.