[21.11.2004/ls]
Im größten Prozess des Jahres gegen die Tabakindustrie (siehe Artikel
"US-Regierung verklagt Tabakindustrie auf 280 Milliarden Dollar") wird den
Tabakmultis vorgeworfen, die Gesundheitsgefahren des Rauchens jahrzehntelang
bewusst verschwiegen zu haben.
Wissenschaftler aus Großbritannien und der Schweiz waren dieser Frage
nachgegangen, und fanden belastendes Material über den Tabakkonzern
Philip Morris. Das Team hatte die internen Unterlagen des Tabakgiganten
durchforstet, die dieser anlässlich eines Prozesses in den USA im Jahr
1998 zur Verfügung stellen musste.
Diese Dokumente belegen, dass Philip Morris bereits in den 70er-Jahren
in Köln das Forschungsinstitut Inbifo (Institut für industrielle und
biologische Forschung) betrieben hatte. Dieses Institut untersuchte
heimlich die gesundheitlichen Auswirkungen des Rauchens. Die Ergebnisse
der Forschungstätigkeit wurden jedoch häufig völlig unterschlagen, oder
(sofern dies möglich war) nur in geschönter und verharmlosender Form
veröffentlicht worden.
Der Leiter des Forschungsteams, Martin McKee von der London School of
Hygiene and Tropical Medicine, äußerte hierzu: "Die Tabakindustrie hat
jahrelang behauptet, dass sie nichts über
Forschungsarbeiten zu den giftigen Auswirkungen des Rauchens wusste.
Dabei hat sie in den 70er-Jahren entschieden, dass sie
diese Information braucht. Aber sie wollte sie nicht auf eine Art
erlangen, die der öffentlichen Überprüfung unterstand."
Die Studie zitiert unter anderem Helmut Wakeham, Vice-President bei
Philip Morris, der 1969 kurz vor dem Einstieg des Konzern bei Inbifo
die Zielrichtung beschrieb: "Wir müssen mehr über unsere Produkte wissen
als jeder beliebige
andere, damit wir nicht überrascht werden, wenn Konkurrenten oder
Widersacher Informationen über unsere Produkte veröffentlichen."
Unveröffentlichte Studien hatten Beweise geliefert, dass Passivrauchen
sogar noch gesundheitsschädlicher ist als Aktivrauchen. Dennoch hatte
die Tabakdrogenindustrie immer wieder behauptet, vom Passivrauchen
würden keine Gefahren ausgehen.
Dass die Herrschaften in der Zentrale des Philip-Morris-Konzerns die
belastenden Tatsachen sehr wohl gekannt haben müssen zeigt ein Bericht,
den sie von ihrem Kölner Institut im Jahre 1982 erhalten hatten. Bei
Versuchen mit Ratten war beobachtet worden, dass die passiv rauchenden
Versuchstiere deutlich stärker unter den Folgen des Tabakqualms litten
als die aktiv rauchenden. Bei den aktiv rauchenden Probanden hätte die
Konzentration des Tabakrauchs um den Faktor drei im Vergleich zu den
passiv rauchenden erhöht werden müssen, um die gleichen Auswirkungen
hervorzurufen.
Diese Ergebnisse waren jedoch niemals von dem Tabakdrogenkonzern
veröffentlicht worden. McKee stellte fest, dass bis zum Jahr 1994 von
den Forschern des Inbifo nicht eine einzige Studie über das
Passivrauchens veröffentlicht worden war - nach über 20 Jahren aktiver
Tätigkeit auf diesem Gebiet!
McKee und sein Team werfen dem Tabakdrogenmulti vor, sogar die direkte
Verbindung zu Inbifo vorsätzlich verschleiert zu haben. Nach der
Übernahme des Instituts durch den Zigarettenhersteller wurde die
Verbindung zur Muttergesellschaft durch den Übergang an eine
Tochtergesellschaft in der Schweiz verschleiert. Auch die wahre
Herkunft der Finanzierung der Studien des in Köln ansässigen Inbifo war
über die schweizerische Gesellschaft verschleiert worden.
Das Kölner Institut, das sich seit etwa zwei Jahren auch durch seinen
Namen "Philip Morris Research Laboratories" offiziell zu seinen
Dienstherren bekennt, lehnte gegenüber dem SPIEGEL ONLINE eine
Stellungnahme ab und verwies auf den Mutterkonzern.
Die Süddeutsche Zeitung zitiert in diesem Zusammenhang auch Dr. Martina
Pötschke-Langer, Leiterin des WHO-Kollaborationszentrums für
Tabakkontrolle beim Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in
Heidelberg:
"Es ist entlarvend, dass sich der Konzern Deutschland für seine
Geheimforschung ausgesucht hat."
Die Zeitung schreibt weiter:
"Den Firmendokumenten sei auch zu entnehmen, dass die Atmosphäre hier
zu Lande immer besonders günstig für die Tabakindustrie war. So gibt es
Belege für deren Einfluss auf die deutsche Politik - einschließlich
Dankschreiben an Helmut Kohl."