US-Regierung verklagt Tabakindustrie auf 280 Milliarden Dollar
[21.09.2004/pk]
Nach einem Bericht von USA Today
begann heute der Prozess der US-Regierung gegen die Tabakindustrie. Die
Tabakindustrie soll über Jahrzehnte hinweg über die Gefahren des
Rauchens getäuscht und Studien darüber unterdrückt haben. Die
astronomische Summe von 280 Milliarden US-Dollar ist aus Sicht der
Kläger die geschätzte Summe, die von der Tabakindustrie in fünf
Jahrzehnten an unrechtmäßigen Gewinnen erwirtschaftet wurde.
Diese aus ihrer Sicht illegalen Gewinne fordert die US-Regierung nun
zurück. Angeklagt sind acht Unternehmen und Einrichtungen, die nicht
nur die Öffentlichkeit belogen, sondern auch den Nikotingehalt ihrer
Tabakprodukte manipuliert haben sollen, um deren Suchtwirkung zu
steigern und dadurch den Umsatz anzukurbeln. Weiterhin wird den
Konzernen vorgeworfen, nicht nur junge Erwachsene sondern auch Kinder
und Jugendliche durch milliardenschwere Werbekampagnen in ihren
Dunstkreis gezogen zu haben. Die Jugend wurde bereits im Jahr 1953 als
Zielgruppe fixiert, wie ein Bericht von Philip Morris über jugendliche
Raucher belegt.
Der Tabakindustrie wird weiterhin vorgeworfen, in großem Umfang Dokumente
zurück gehalten oder vernichtet zu haben. Ein Verantwortlicher des
"Tobacco Documentation Center" schrieb 1998, dass er "die Vernichtung
von fast einer Million einzelner Seiten" während seiner siebenjährigen
Tätigkeit im Tabak-Dokumentationszentrum genehmigt hätte. Mehr dazu
findet sich beispielsweise in einem (englischsprachigen) Artikel der
Washington Post.
Besonders pikant an der Anklage ist, dass sie hauptsächlich auf einem
Gesetz zum Kampf gegen die organisierte Kriminalität basiert. Dieses
Gesetz schreibt vor, dass illegale Gewinne von den betreffenden
Organisationen zurückgegeben werden müssen.
Neben dieser Abschöpfung illegaler Gewinne hofft das Justizministerium,
den Tabakkonzernen weitere Auflagen abzuringen. Sie sollen Bildungs-
und Gesundheitsprogramme finanziell unterstützen und ihre
Marketing-Praktiken umgestalten. Insbesondere die an der Jugend
orientierte Werbung soll strengeren Einschränkungen unterworfen werden.
Die Anti-Tabakrauch-Organisation "Campaign for Tobacco-Free Kids" hält
diese Einschränkungen für genauso wichtig wie jegliche Geldstrafe.
Die avisierte Summe von 280 Milliarden US-Dollar ist für die Anwälte
der angeklagten Tabakkonzerne, die natürlich jegliche Schuld von sich
weisen, "frei erfunden". Die Staatsanwaltschaft spricht dagegen von
einer konservativen Schätzung. Nach ihren Angaben könnte sich die
Schätzung auf bis zu 900 Milliarden US-Dollar belaufen.
Nach dem Bericht von USA Today stehen sich bei dieser Schlacht zwei
kleine Armeen anerkannter Juristen gegenüber. Dem fünfzigköpfigen
Tabak-Team des amerikanischen Justizministeriums steht eine
hundertköpfige Schar von Verteidigern der Tabakindustrie gegenüber.
Beide Seiten stellen namhafte und erfahrene Anwälte, die bereits
etliche Fälle von illegalen Praktiken und Schadenersatzforderungen
gegenüber der Tabakindustrie verhandelten.
Auf die heutige, ganztägige Klageeröffnung werden morgen die Vertreter
der beklagten Tabakindustrie ihr Plädoyer abgeben. Danach wird jede
Seite zwölf Wochen Zeit haben, ihre Argumente vorzutragen. Die
Rechtsanwälte produzierten Millionen Seiten von Dokumenten. Die
Ankläger listeten 40000 Beweisstücke auf. Die Aussagen von über 300
potenziellen Zeugen - Geschäftsführer, Wissenschaftler und
Gesundheitsexperten - wurden bereits vor der Verhandlung aufgenommen.
Beide Seiten wendeten bereits Hunderte Millionen Dollar auf.
Das Verfahren, das noch unter der Clinton-Regierung eröffnet wurde, war
im Jahr 2001 (zwei Jahre nach Eröffnung) bereits kurz davor, durch
Justizminister John Ashcroft fallen gelassen zu werden. Ashcroft
initiierte Beilegungsverhandlungen mit der Tabakindustrie, die jedoch
bereits nach dem ersten Treffen scheiterten.
Anti-Tabak-Gruppen hatten damals der Bush-Regierung und
republikanischen Gesetzmachern vorgeworfen, den Fall unter der Teppich
kehren zu wollen, um die Tabakindustrie zu schützen - den größten
Sponsor des republikanischen Wahlkampfes.