Das Märchen von der Rücksicht der Raucher
Ein persönlicher Erfahrungsbericht
[07.06.2004/pk]
München. Gestern Abend. Open-Air-Konzert im Olympiastadion. Klasse Atmosphäre,
herrliche Frühlingsluft. Doch halt, eine plötzliche Rauchwolke im
Gesicht, heftiger Nies- und Hustenreiz. Aha, meine Nachbarin hat sich
eine Kippe angezündet. Mein Gehirn arbeitet noch fieberhaft, ob sie
denn nur eine Ausnahme der angeblich weit verbreiteten Spezies
rücksichtsvoller Raucher darstellt, die sich doch alle vorher höflich
danach erkundigen, ob sie denn auch wirklich niemanden damit
belästigen. Aber schon naht das nächste Ungemach. Jetzt lässt sich vor
uns ein "nobler Herr" mit einer qualmenden Zigarre nieder. Mal sehen,
ob er wenigstens auf seine Nachbarn Rücksicht nimmt? Nein, Fehlanzeige.
Hustende Nachbarn entlocken ihm nur ein mitleidiges Lächeln. Zum Glück
dreht der Wind, jetzt kann es eigentlich nur noch besser werden. Aber
nein, was ist denn das! Links hinter uns sitzt eine Reihe
alkoholisierter Kettenraucher. Ich glaube, für den nächsten
Konzertbesuch brauche ich eine Gasmaske.
Mein fieberhaft arbeitendes Gehirn hat aber doch noch etwas
Sauerstoff erhalten, und mittlerweile eine erste Erkenntnis auf die
Problematik meiner rauchenden Nachbarin geliefert. Sie muss ja gar
nicht fragen. Im Freien stört der Rauch ja angeblich niemanden. Ich bin
erleichtert. Meine Mitmenschen sind doch nicht so rücksichts- und
gedankenlos, wie es sich mir manchmal aufdrängt. Ach ja, und irgendwo
habe ich doch neulich gelesen, dass Zigarren angeblich viel weniger
schädlich sind als Zigaretten, also praktisch unschädlich. Also darf
der seine Zigarre auch weiter rauchen. Hustenreiz hat ja auch nichts
weiter zu bedeuten. Und die alkoholisierten Kettenraucher, denen man
ihr Laster schon deutlich am Gesicht ansieht... die leben sowieso nicht
mehr lange, sollte ich ihnen nicht also dieses letzte Vergnügen
gönnen...?
Ich fange schon an, zu überlegen, ob ich wirklich der einzige bin, den
der Qualm stört. Wieder zu Hause sehe ich mal ins Internet, ob ich etwas
darüber finde.
... Mannomann, das ist ja Wahnsinn, wieviel schon darüber geschrieben
wurde. Ah, da ist etwas Interessantes. Das renommierte
Meinungsforschungsinstitut EMNID führte im Jahr 2002 eine
repräsentative Umfrage zum Verhalten der Raucher durch. Ich glaube, da
muss ich einige interessante Beispiele zitieren.
Da steht beispielsweise, 92 Prozent der RaucherInnen kennen die Regel
"Rauchende sollten darauf achten, dass der Zigarettenqualm anderen
Personen nicht ins Gesicht geweht wird". Von diesen RaucherInnen (die
also diese Regel kennen) behaupten sogar 61 Prozent, sie würden diese
Regel immer einhalten, und 33 Prozent würden sie häufig einhalten. Nur
6 Prozent sind so ehrlich einzugestehen, dass sie diese Regel selten
oder nie einhalten.
Meine eilends heraus gekramten Kenntnisse der Prozentrechnung sagen mir
also, dass sich damit 86 Prozent aller Raucher wenigstens häufig, oder
sogar immer, an diese einfache Regel der Rücksicht gegenüber den
Mitmenschen halten (zumindestens wenn das stimmt was die Raucher von
sich behaupten). Da kann ich mir einfach nicht erklären, warum dann
unter den 50000 Gästen des ausverkauften Münchner Olympiastadions
ausgerechnet die 14 Prozent der übrigen Raucher zu finden sind, die
diese Regel entweder nicht kennen, oder sich trotzdem einfach darüber
hinweg setzen.
Na gut, das Olympiastadion ist ja nicht überall. Bei soviel Rücksicht
und Verständnis seitens der Raucher müssten doch die Nichtraucher
eigentlich weitest gehend zufrieden sein. Aber die repräsentative
EMNID-Umfrage ermittelte, dass sich immerhin 46 Prozent der
Nichtraucher durch in der Öffentlichkeit rauchende Menschen gestört
fühlen. Jetzt drängt sich mir die folgende Frage auf: können
tatsächlich 14 Prozent der Raucher so einen Gestank verbreiten, dass
sich fast die Hälfte aller Nichtraucher dadurch belästigt fühlt? Wenn
ich mir das Ganze jetzt noch auf absolute Bevölkerungszahlen umrechne
(knappe 29 Prozent der deutschen Bevölkerung rauchen) - ich muss ja
schließlich ein bisschen mit meinen Rechenkünsten angeben - dann heißt
das: 4 Prozent der Bevölkerung belästigen mit ihrem Qualm ein ganzes
Drittel der Bevölkerung!
Aber nehmen wir einmal an, dass alle Raucher bei der obigen Umfrage
geschummelt hätten (was ich natürlich niemals glaube!), dann würde ein
rauchendes knappes Drittel der Bevölkerung ein nicht rauchendes Drittel
der Bevölkerung belästigen, und ein weiteres Drittel ist von diesem
Problem nicht betroffen - vielleicht weil sie nie ins Open-Air im
Olympiastadion gehen...? Hmmm...
Aha, in der Umfrage steht noch etwas, was mich doch beruhigt: von den
Nichtrauchern, die sich durch den Qualm belätigt fühlen (was ohnehin
schon eine ganze Menge sind, s.o.) fühlen sich 99 Prozent dadurch
gestört, dass sie den Rauch direkt ins Gesicht bekommen. Ich bin mit
meiner Abscheu dagegen also keineswegs ein verschrobener Einzelfall.
Noch ein weiteres Ergebnis der Umfrage bestätigt meine Wahrnehmung. 54
Prozent aller Nichtraucher sind der Meinung, dass Raucher die Regel
"Zigarettenqualm sollte anderen Personen nicht ins Gesicht wehen"
selten oder nie beachten. Und wenn man auf die korrekte Einhaltung
dieser Regel Wert legt, dann sind gerade einmal 14 Prozent aller
Nichtraucher der Meinung, dass sie von Rauchern befolgt wird.
Bei all diesen Ergebnissen sollte man sich auch immer vor Augen halten,
dass nur knapp 30 Prozent unserer Bevölkerung rauchen. Wenn sich also
"nur" etwa die Hälfte der Nichtraucher durch den Tabakqualm belästigt
fühlt, dann sind das bereits mehr Menschen, als alle Raucher unseres
Landes zusammen genommen.
Fazit: das Selbstbild der Raucher unseres Landes weist eine beachtliche
Diskrepanz zu ihrem Erscheinungsbild bei den Mitmenschen auf. Ich
denke, es liegt in der Verantwortung der RaucherInnen, die schließlich
die Verursacher des stinkenden und auch giftigen Qualms sind, durch
Überdenken und Anpassung ihrer Verhaltensweisen ein besseres Bild in
der Öffentlichkeit abzugeben. Sollten die Nikotinsüchtigen aber ihre
(möglicher Weise durch die Sucht bedingte oder verstärkte) rosarote
Brille weiterhin nicht ablegen, so kann wieder einmal leider nur der
Arm des Gesetzes die Mitmenschen vor den Folgen dieser Sucht schützen.