Nichtraucherschutz - Presse denkt langsam um, Politiker noch unentschlossen
[04.11.2003/pk]
Lange Zeit übte die deutsche Presse heimlich Selbstzensur in Sachen
Nichtraucherschutz. Bis vor etwa einem Jahr wagte sich nur der Stern
aus der Versenkung hervor, wenn es um die Berichterstattung über den
Schutz vor dem Zwangsmitrauchen in Deutschland ging. Noch im Januar
2003 war in der "Nichtraucher-Info Nr. 49 - I/03" zu lesen:
"Presse zensiert sich beim Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz selbst!".
Doch langsam kommt Bewegung in die erstarrte deutsche Presselandschaft.
Die Süddeutsche Zeitung erstaunte am 3. November 2003 mit dem großen
Artikel "Mehr Schutz für die Nichtraucher" auf der Seite 2. Der prominente
Autor dieses Artikels ist Ulrich Keil, Professor für Medizin und Direktor
des Instituts für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster.
Ulrich Keil beginnt seinen Artikel mit den deutlichen Worten Die
Initiative von EU-Verbraucherkommissar David Byrne, in Gaststätten,
Cafés und Restaurants EU-weit ein komplettes Rauchverbot durchzusetzen,
ist sehr zu begrüßen und längst überfällig. Und weiter: Die Initiative
... ist auch deshalb sinnvoll, weil sie in ein Gesamtkonzept zur
Tabakprävention in Europa eingebettet ist.
Zur Erklärung: das Rauchverbot in der Gastronomie ist nur eine der
Maßnahmen, die im Zusammenhang mit den folgenden dauerhaft zum Erfolg
führen soll: drastische Tabaksteuererhöhungen, umfassendes
Tabakwerbeverbot, Abschaffung der Zigarettenautomaten, Bekämpfung des
Zigarettenschmuggels, Durchsetzung des Nichtraucherschutzes auf allen
Ebenen, umfassende Verbraucherinformationen und Verkaufsbeschränkungen
im Sinne des Jugendschutzgesetztes. Diesen Punkt sollten sich vor allem
Kritiker einzelner Maßnahmen immer wieder vor Augen führen. Über den
Sinn und die Erfolgsaussichten mancher isolierter Einzelmaßnahme ließe
sich vielleicht streiten. Eine derartige Diskussion erübrigt sich
jedoch, da die Erfolgsaussichten des Gesamtpaketes unbestritten sind.
In anderen Ländern, wie beispielsweise Australien, wird schon seit
vielen Jahren der Schädlichkeit des Rauchens Rechnung getragen und die
Öffentlichkeit entsprechend gewarnt. Der SZ-Artikel beschreibt die
Darstellung einer bereits vor vielen Jahren aufgestellten großen
Reklame-Leinwand im australischen Perth: In
Australien sterben mehr Menschen durch Rauchen als die Gesamtzahl der
durch Alkohol, Drogen, Mord, Selbstmord, Straßenverkehrsunfälle,
Eisenbahnunfälle, Luftverkehrsunfälle, Vergiftungen, Ertrinken, Aids,
Feuer, Stürze, Blitzschlag, Stromschlag, Schlangen, Spinnen, Haifische
und Krokodile verursachten Todesfälle.
Deutschland ist dagegen in Sachen Nichtraucherschutz immer noch
Entwicklungsland. Keil findet auch hier deutliche Worte für die
deutsche Politik: Die
wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Gefahren des Passivrauchens
hätten in Deutschland von einer verantwortungsbewussten Politik schon
längst in effektive Gesetze und Verordnungen zum Schutze der
Nichtraucher umgesetzt werden müssen. Davon ist aber in unserem Lande
wenig zu spüren. Stattdessen haben wir es mit einer Regierung zu tun,
die auf dem Gebiet "Gesundheit fördern - Tabakkonsum verringern"
kläglich versagt.
Am schlimmsten hat die deutsche Politik aber beim Thema "Jugendschutz"
versagt, was die erschreckende Zunahme jugendlicher Raucher betrifft
(siehe auch SmokeFreeLiving-Artikel Mädchen haben Jungen beim Rauchen «überholt»).
Aber die Ursachen sind bekannt. Keil: Die Abhängigkeit von und
die Angst vor Lobbyistengruppen (Zigarettenindustrie, Automatenindust
rie, Werbebranche, Printmedien) spielt bei der Tabakprävention oder
vielmehr Nichtprävention in unserem Land schon seit geraumer Zeit eine
überragende Rolle. Deutschland gehört inzwischen nicht nur beim
Wirtschaftswachstum, sondern auch bei einer wirksamen
Tabakkontrollpolitik als wichtigem Element einer modernen
Gesundheitspolitik zum Schlusslicht in der EU und stößt bei
EU-Verbraucherkommissar David Byrne nur noch auf Unverständnis und
Unwillen. In Bezug auf die Tabakpolitik hat sich die rot-grüne
Regierung in der EU isoliert.
Den letzten Absatz seines ausführlichen und sehr informativen Artikels leitet Keil mit den Worten ein: Die
Betreiber von Gaststätten, Cafés und Restaurants werden bald merken,
dass sie mit einem Rauchverbot auf mehr Zustimmung als Ablehnung in der
Bevölkerung stoßen werden. In Boston ist das Rauchen in Kneipen und
Restaurants seit dem 1. Mai 2003 verboten; Umsatzeinbußen in der
Gastronomie sind nicht aufgetreten..
Angesichts des Verhaltens und der Reaktionen deutscher Politiker und
Gastronomie-Lobbyisten (siehe auch die SmokeFreeLiving-Artikel Rauchverbot: Kneipensterben befürchtet und Rauchverbot gehört vom Tisch)
muss aber auch deutlich gemacht werden, dass zum Erreichen dieses Ziels
noch eine Menge Überzeugungsarbeit geleistet werden muss: bei
Gastronomen, DEHOGA, BHG, Lobbyisten und Politikern, aber auch bei den
betroffenen Nichtrauchern.
SmokeFreeLiving bleibt hier natürlich am Ball. Nichtsdestotrotz sind
wir auf jegliche weitere Unterstützung angewiesen; neue
"SmokeFree-Aktivisten" für weitere Aktionen sind herzlich willkommen.
Jedes einzelne Mitglied unserer erstarkenden Gemeinschaft zählt. Warum
nicht einfach Mitglied bei SmokeFreeLiving werden" (die Mitgliedschaft ist kostenlos)?