[28.01.2012/ÄARG]
Die Tabakwerbung in der SPD-Parteizeitschrift VORWÄRTS ist viele Jahre lang ein Ärgernis gewesen. Nicht nur, dass die Werbung für Produkte, die nach offizieller Definition bei bestimmungsgemäßen Gebrauch gesundheitschädlich sind, für eine Volkspartei kaum vertretbar war. Schlimmer noch, dass sich die Partei für die Anzeigen in eine finanzielle Abhängigkeit von der Tabakindustrie begab, die sie meinte, nicht abschütteln zu können.
Frühere Appelle innerhalb und außerhalb der Partei, die Tabakwerbung in dem Blatt aufzugeben, stießen bei der Parteispitze regelmäßig auf taube Ohren. Als Beispiel sei ein Schreiben des damaligen SPD-Bundesgeschäftsführers Franz Müntefering aus dem Jahr 1998 an ein SPD-Mitglied (in Auszügen) zitiert:
"Liebe Genossin,
Mir ist klar, dass kommerzielle Anzeigen im Vorwärts immer wieder Anlaß für Diskussionen und Kritik sind. Wir informieren mit dem 'Vorwärts' jeden Monat über 800.000 Mitglieder. Dies kostet natürlich eine Menge Geld. Ohne die Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft wäre dies nicht möglich. Wir haben keine und werden keine Anzeigen veröffentlichen, die unseren sozialdemokratischen Grundsätzen widersprechen. Bei anderen Anzeigen muß ich darum bitten, deutlich zwischen den redaktionellen Beiträgen und den Inhalten der Anzeigen zu unterscheiden. Würden wir es anders halten, würden wir immer darüber diskutieren, ob es möglich ist, Anzeigen von Automobilkonzernen, Chemieunternehmen oder Tabakindustrie zu schalten. Dann könnten wir aber das Anzeigengeschäft gleich einstellen und damit wäre der 'Vorwärts' als monatliche Information für die Mitglieder nicht zu finanzieren. Ich bitte deshalb um etwas Verständnis, auch wenn in Zukunft immer wieder Ärger über die eine oder die andere Anzeige entsteht.
Mit freundlichen Grüßen
Dein Franz Müntefering"
Das Schreiben enthält die Kernelemente, die von den Herausgebern des VORWÄRTS zu ihrer Entschuldigung regelmäßig vorgebracht urden: Erstens, die Tabakindustrie ist so gut und so schlecht wie jeder andere Industriezweig. Zweitens, ohne die Gelder der Industrie, d.h. inklusive der Tabakindustrie, kann die Partei keine ausreichende Mitgliederarbeit betreiben.
Die Anzeigenpraxis des VORWÄRTS wurde erst prekär, als im Jahr 2005 auf Druck der EU, gegen den Einspruch Deutschlands, ein europaweites Tabakwerbeverbot in den Printmedien ausgesprochen wurde. Die deutschen Wochenzeitschriften und Magazine haben sich in der Regel an dieses Verbot gehalten. Nicht so der VORWÄRTS - und andere Blätter politischer Parteien. Der VORWÄRTS schaltete wie zuvor Anzeigen der Tabakkonzerne British American Tobacco (BAT), Philip Morris und Reemtsma (Imperial Tobacco), mit denen sie ihr Image verbessern und die politische Willensbildung beeinflussen wollten. (siehe Abb. 1-3).
Tabakwerbung vor Gericht
Nachdem die Appelle an die SPD-Spitze erfolglos geblieben waren, hat auf Anstoß des Forum Rauchfrei Berlin die Verbraucherzentrale Deutschland ein Verfahren gegen den BAT-Konzern wegen einer seiner Anzeigen im VORWÄRTS (Abb. 1) vor dem zuständigen Landesgericht in Hamburg angestrengt.
Das Landesgericht (LG) entschied, dass die strittige Werbung nicht unter das Tabakwerbeverbot falle. Dies wollte die Verbraucherzentrale nicht hinnehmen und zog vor das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg.
Dieses gab der Verbraucherzentrale recht und kassierte das LG-Urteil. Es stellte fest, dass die Werbung "jedenfalls" zu verbieten sei, weil sie Namen von Tabakprodukten enthalte (Abb. 1). Das OLG kam darüber hinaus zu dem Schluss, dass das Tabakwerbeverbot (§ 21 Abs.3 VTabakG) zwar "grundsätzlich uneingeschränkt" gültig sei, dass die strittige Werbung aber auch unabhängig von der Nennung der Zigarettenmarken bei "verfassungskonformer" Auslegung gerechtfertigt sein könnte.
Trotz ihres Erfolges waren die Verbraucherzentrale und die an dem Verfahren beteiligten Gesundheitsorganisationen von dem Urteil des OLG enttäuscht. Hatte doch das Gericht der Tabakindustrie für die Imagewerbung Tor und Tür offen gelassen.
Aber auch der beklagte Tabakkonzern ließ nicht locker und rief den Bundesgerichtshof (BGH) an. Dieser erteilte dem Konzern eine herbe Abfuhr, indem er das Urteil des OLG uneingeschränkt bestätigte. Allerdings gab er sich mit den Überlegungen des OLG zur Zulässigkeit der "indirekten" (Image)-Werbung von Tabakunternehmen nicht zufrieden. Der BGH sah keinen Anlass für die vom OLG erwogene Möglichkeit, die Imagewebung vom Tabakwerbeverbot auszunehmen. Für das Verbot der strittigen Anzeige sei die Nennung der Markennamen unerheblich, da bereits die "reine Imagewerbung" einen ausreichenden Verbotsgrund darstelle.
Gegen das Urteil des BGH kann die Tabakindustrie keine neuen Rechtsmittel einlegen. Sie will sich aber mit dem vom BGH indirekt ausgesprochenen Verbot der Imagewerbung offensichtlich nicht "klaglos" abfinden. Anders ist die neuerliche Imagewerbung von BAT und Reemtsma in der Juni/2011-Ausgabe des VORWÄRTS (siehe Abb. 2 und 3) kaum zu verstehen. Die Tabakindustrie hat bei einem erneuten Verfahren zu ihrer Imagewerbung nichts zu verlieren, was sie nicht bereits verloren hätte. Sie hat unbegrenzte finanzielle und personelle Ressourcen und kann damit rechnen, dass ihre Gegner, die sehr viel schlechter ausgerüstet sind, in dem langen Gang bis zum höchsten Gericht ermüden werden.
Kommentar: Es ist bemerkenswert, dass der Reemtsma-Konzern die Richter mit einer Anzeige herausfordert, die die "erfolgreiche Markenführung" und die "Kraft der Marken" als Quelle seiner langjährigen Unternehmensgeschichte anpreist, wenn klar ist, dass die bloße Nennung von Markennamen eine Anzeige gesetzwidrig macht.
Aus für die Tabakwerbung im VORWÄRTS
Der ÄÄRG nahm die erneute Werbung im VORWÄRTS zum Anlass, um am 5. Juli 2011 in einem persönlichen Schreiben an Frau Nahles darauf zu dringen, als verantwortliche Herausgeberin des VORWÄRTS die gesetzwidrigen Anzeigen ein für alle Mal zu unterbinden. Der persönliche Appell hat gefruchtet: Am 27. Juli 2011 ließ Frau Nahles über eine Rechtsanwaltskanzlei zunächst ausrichten:
"In der Sache sind wir nach überschlägiger rechtlicher Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei den von Ihnen beanstandeten Anzeigen um zulässige Imagewerbung handelt..." um dann fortzufahren:
"Ungeachtet dieser Rechtsauffassung wird unsere Mandantin dennoch ab sofort von der Veröffentlichung weiterer entsprechender Anzeigen in der SPD-Mitgliedszeitung "Vorwärts" ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, gleichwohl rechtsverbindlich und ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage jedenfalls bis zu einer endgültigen höchstrichterlichen Klärung entsprechender Imageanzeigen durch den BGH absehen. Unsere Mandantin ist sich ihrer gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung bewusst."
Das "Aus" also für die Tabakwerbung in der Parteizeitschrift! Kommentar: Die Entscheidung der Herausgeberin der Zeitschrift ist besonders zu begrüßen, als sie auf Grund "gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung" getroffen wurde und nicht lediglich auf Grund rechtlicher Zwänge. Sicherlich hat sich Frau Nahles der Zustimmung der Parteispitze vergewissert. Insofern besteht die Hoffnung, dass die SPD-Führung auch sonst die Prävention des Rauchens in ihren Verantwortungsbereich aufgenommen hat.