[13.08.2011/pk]
Seit Jahren fordern Ärzte die Anerkennung der Tabakabhängigkeit als Krankheit. Nikotiniker sind der Sucht ebenso hilflos ausgeliefert wie Alkoholiker, sofern sie keine Hilfe erhalten. Die Tabakdrogensucht ist zudem die größte vermeidbare Krankheitsursache, so dass eine Unterstützung bei der Entwöhnung eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
Derartige Bemühungen wurden jedoch von der Tabaklobby massiv bekämpft. Die Tabakindustrie interessiert sich nicht für die Opfer der von ihr produzierten und verkauften Drogen, sondern nur für den eigenen Profit. Zudem ist das eigene Image den Nikotindrogenherstellern wichtiger als die Gesundheit ihrer Kunden. Dank dieser selbstsüchtigen Invervention der Tabakindustrie bleibt Nikotinabhängigen eine Unterstützung des Entzugs durch die Krankenkassen verwehrt, im Gegensatz zu Alkoholikern und anderen Drogenabhängigen.
In der Schweiz klagte die Pharmaindustrie gegen diese Praxis, weil sie sich im Vertrieb ihrer Entwöhnungshilfen unzulässig diskriminiert sah. Die Pillenhersteller waren damit vor dem obersten Bundesgericht erfolgreich. Das Gericht urteilte, die Nikotinsucht müsse unter bestimmten Voraussetzungen als Krankheit anerkannt werden. Demzufolge müssten sich Krankenkassen und Versicherungen an den Heilkosten beteiligen. Das Bundesgericht verpflichtete das schweizerische Bundesamt für Gesundheit (BAG), die Bedingungen festzulegen, wann von einer behandlungsbedürftigen Erkrankung auszugehen sei.
Die Freude über dieses Urteil wird zwar etwas dadurch gedämpft, dass auch bei der Pharmaindustrie das Geschäft die Motivation für diese Klage darstellte, und nicht der betroffene Mensch. Dennoch ist das Urteil erfreulich für alle Raucher, die bislang mit ihrem Problem im Regen stehen gelassen wurden, weil sie von die Beteiligten (Staat, Tabakindustrie, Versicherungen) nur als Melkkuh und Spielball unterschiedlicher Interessen betrachtet wurden. Insbesondere trifft die bisheringe Nichtanerkennung der Behandlungskosten für Nikotinabhängigkeit vor allem diejenigen, die am stärksten vom Tabakdrogenmissbrauch betroffen sind, nämlich die sozial Schwachen.
Die Versicherungen, die für die Kosten aufkommen müssen, zeigten sich uneinsichtig. Eine Sprecherin des Verbandes der Schweizer Krankenkassen Santésuisse äußerte: "Wenn die Solidargemeinschaft der Prämienzahler die präventive Rauchentwöhnung bezahlt, darf sie ein Engagement des Rauchers dafür erwarten. In diesen Fällen soll die Therapie nur bezahlt werden, wenn sie erfolgreich ist." Dabei zahlt die Solidargemeinschaft bereits wie selbstverständlich für Alkohol- und Heroinkranke, oder Knochenbrüche rasanter Skifahrer.
Die Reaktion des Kassenverbands ist auch sonst recht kurzsichtig. Denn der Tabakkonsum ist die größte vermeidbare Krankheits- und Todesursache. Jährlich müssen die Kassen, und damit die Solidargemeinschaft, Milliarden an Behandlungskosten für Krankheiten von Rauchern und Passivrauchern aufwenden. Jeder Betrag, der für die Nikotinentwöhnung aufgewendet wird, stellt somit eine Investition für die Zukunft dar. Die Folgekosten des Rauchens betreffen nicht nur den einzelnen Raucher, inzwischen stellen sie eine massive Bedrohung des Gesundheitssystems dar, in der Schweiz ebenso wie in ganz Europa.
Die Tabakindustrie fährt mit ihren Tabakdrogen jedes Jahr Milliardengewinne ein. Sie lebt auf Kosten der Gesundheit und des Lebens ihrer gutgläubigen Kunden wie die Made im Speck. Zudem schädigt sie durch die mit dem Tabakkonsum verbundenen Arbeitsausfälle alle Wirtschaftszweige. Es ist deshalb nur recht und billig, wenn die Tabakindustrie stärker als bisher - allerdings ohne die Möglichkeit jedweder Einflussnahme - für die ausufernden Folgekosten herangezogen wird.
Die Kritik der Kassen an der Anerkennung der Nikotindrogensucht als Krankheit ist eine absolute Themaverfehlung. Im Interesse ihrer Kunden, insbesondere der Opfer der Tabakindustrie, muss die Forderung vielmehr lauten: die Tabakindustrie muss für alle tabakbedingten Behandlungskosten in unbegrenzter Höhe aufkommen, einschließlich aller Entwöhnungsversuche bis zu deren endgültigem Erfolg. Damit wäre für die Tabakindustrie auch erstmals der Anreiz geschaffen, die Gesundheit ihrer Kunden wirklich ernst zu nehmen, anstatt eine möglichst lange Aufrechterhaltung der Nikotinsucht für den eigenen Profit in den Vordergrund zu stellen.