Philip Morris als schlimmstes Unternehmen des Jahres nominiert
[05.02.2011/pk]
Uruguay galt lange Zeit als eine der größten Qualmhöllen Südamerikas. In den vergangenen fünf Jahren hat jedoch der Staat gewaltige Anstengungen unternommen, um seine Bürger vor den Qualen und Gefahren der Zwangsberauchung zu schützen. So erfolgreich waren die Bemühungen um eine Eindämmung der Tabakepidemie, dass sich das Land nun den heiligen Zorn der Tabakindustrie zugezogen hat.
Der Tabakmulti Philip Morris verklagt Uruguay bei der Schiedsstelle der Weltbank. Damit will der Nikotindrogenhersteller den Staat zwingen, die Gesundheitspolitik an die Wünsche des Konzerns anzupassen. Wie das Forum Rauchfrei mitteilt, steht diese Aktion "beispielhaft für den wachsenden Druck der Zigarettenindustrie auf Länder und Regierungen im Süden". Als Protest wegen dieses völlig überzogene und verantwortungslose Vorgehen gegen das Entwicklungsland wurde der Marlboro-Hersteller beim "Public Eye Award" von der uruguayischen Organisation REDES für die Wahl zum schlimmsten Unternehmen des Jahres 2011 nominiert.
Ein wichtiger Grund der Klage des Tabakgiganten gegen den wirtschaftlich nicht gerade starken südamerikanischen Staat, wenn er auch nicht offiziell genannt wird, dürfte darin bestehen, ein Zeichen gegen den zunehmenden Erfolg der Tabakkonvention der Weltgesundheitsorganisation zu setzen. Erst im vergangenen November trafen sich Diplomaten aus 171 Staaten im uruguayischen Badeort Punta del Este, um über wirksamere Gesetze zu Zusatzstoffen in Tabakwaren, Tabakwerbung und Tabaksteuern zu beraten.
Uruguay hat, wie eingangs bereits erwähnt, wirksame Maßnahmen zur Eindämmung der Tabakepidemie ergriffen. Das Land geht dabei weitaus fortschrittlicher vor, als Europa oder die USA. Maßnahmen, die hierzulande bestenfalls schon einmal diskutiert wurden, sind in dem südamerikansichen Staat bereits Realität. Zigarettenpackungen müssen auf den Vorder- und Rückseiten zu 80 Prozent mit Warnhinweisen und abschreckenden Bildern versehen sein. Somit bleibt den Nikotindrogenherstellern nur noch wenig Spielraum für Eigenwerbung auf ihren tödlichen Produkten.
Auf diesem verbleibenden Streifen sind auch keine Hintergrundfarben gestattet. Für die Markenbezeichnung bleibt nur wenig Platz. Bezeichnungen wie "mild" oder "light" sind verboten. Unter jeder Marke ist nur ein Produkt zulässig. Somit können also Standardzigaretten, Mentholzigaretten, Kippen ohne Zusatzstoffe oder solche mit niedrigem Nikotin- und Teergehalt, Slim Line und andere Nikotinstängel-Marketinggags nicht mehr als eine Markenfamilie vermarktet werden.
Wie das Handelsblatt schreibt, schlägt der Philip-Morris-Konzern seit dem Frühjahr zurück. Die Firma, die seit Beginn des Jahres bereits fünf von zwölf Produkten in Uruguay einstellen musste, bemängelt die mangelnde Unterscheidbarkeit seiner Marken von anderen Herstellern. Diesen Verlust seiner Markenidentität will der Tabakgigant nun mit aller Macht wieder zurück erobern - mit einer Klage auf Schadenersatz in unbekannter Höhe.
Als rechtlichen Aufhänger für seinen Kreuzzug gegen den südamerikanischen Staat nutzt der Tabakkonzern ein Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Uruguay. Philip Morris kann sich darauf berufen, weil die Firma den Unternehmenssitz (nach den milliardenschwerden Schadensersatzklagen in den USA) in die Schweiz nach Lausanne verschoben hatte. Der Nikotindrogenproduzent macht nach dem Bericht des Handelsblatts geltend, dass die "drastischen und beispiellosen" uruguayischen Regelungen "den Wert der Investitionen von Philip Morris in Uruguay substanziell vermindert".
Nun müssen drei Richter in Washington - deren Ernennung gegenwärtig in Gang ist - vom Schiedsgericht ICSID der Weltbank darüber entscheiden, ob die Vorschriften Uruguays für Einheitsverpackungen tatsächlich das Markenrecht des Tabakkonzerns verletzen.
Gerade kleine Staaten wie Uruguay sind für die Tabakdrogenhersteller leichte Beute. Bei nur 3,5 Millionen Einwohnern kann sich das Land nicht mit dem Tabakgiganten Philip Morris messen, dessen Jahresumsatz fast das Doppelte des Bruttosozialprodukts des südamerikanischen Staats beträgt. Unter diesem gewaltigen Druck gab Uruguay bereits vor Beginn der offiziellen Verhandlung nach, und reduzierte die Mindestgröße der Warnhinweise von 80 auf 65 Prozent.
Die uruguayische Organisation REDES, die Philip Morris für den "Public Eye Award" als schmlimmstes Unternehmen vorgeschlagen hat, kritisiert dieses unverantwortliche Gebaren des transnationalen Tabakmultis. Dieser Fall stelle ein Exempel für wachsenden politischen Druck der internationalen Tabaklobby auf alle Staaten und Regierungen des Globalen Südens dar. Die auf Grund des wachsenden Gesundheitsbewusstseins und strengerer Schutzgesetze schrumpfenden Kernmärkte des Philip-Morris-Konzerns im Norden sollten nun von den international agierenden Tabakmultis durch aggressive Geschäftstätigkeit in den neuen Märkten der dritten Welt kompensiert werden.
Laut REDES will Philip Morris nun an Uruguay ein Exempel statuieren, um auch andere aufstrebenden Staaten und Entwicklungsländer vor wirksamen Gesundheitsschutzgesetzen abzuschrecken. Es sei angesichts der unangefochtenen Vormachtstellung eine schändliche Ausnutzung der wirtschaftlichen Freiheit der transnationalen Tabakfirmen gegenüber den Gesundheitsinteressen souveräner Staaten.
Wie auf der Public Eye Award Webseite weiter nachzulesen ist, stellt Philip Morris seinen Profit über die Gesundheitsgefahren des Tabakkonsums und der berechtigten Gesundheitsinteressen der Bewohner betroffener Staaten. Der Tabakkonzern umgehe mit seiner agressiven Geschäftspolitik die demokratischen Entscheidungen der betreffenden Länder. Diese würde sehr dem Vorgehen ähneln, das auf einer anderen Ebene von der Rüstungsindustrie praktiziert werde.
Die Forderung an Philip Morris lautet daher, der Konzern müsse seine Klage unverzüglich und bedingungslos zurückziehen, und vor derartigen Abschreckungsmaßnahmen und Einschüchterungtaktiken [gegenüber weiteren Staaten] in Zukunft Abstand nehmen. Die Gesundheitspolitik demokratisch legitimierter Regierungen und Parlamente müssten akzeptiert werden. Dies müsse insbesondere den Globalen Süden einschließen, selbst wenn damit weitere Gewinnrückgänge aus den verringerten Verkaufszahlen eines eindeutig schädlichen Produkts einher gehen. Denn das menschliche Leben hat Vorrang vor den ökonomischen Interessen.
Wie die New York Times berichtete, gibt sich die Landesgesellschaft der Altria Gruppe, Philip Morris USA, im Heimatland verantwortungsvoll, unterstützte die Verhandlungen zum Nichtraucherschutzgesetz im vergangen Jahr, und beteiligte sich auch nicht an einer Klage anderer Tabakkonzerne gegen die Gesundheitsbehörde FDA. Bislang protestierte die Firma auch nicht gegen die bildhaften Warnhinweise auf Zigarettenpackungen, die von der FDA vor einigen Monaten empfohlen worden waren.
Ein völlig gegenteiliges Bild bietet die Philip Morris International, die 2008 vom Altria-Mutterkonzern abgespalten wurde. Die zur Expansion der Firmenpräsenz ins Ausland gegründete Tochterfirma zeigte sich überaus aggressiv im Kampf gegen Einschränkungen. Neben Uruguay mussten bereits weitere Länder mit ansehen, wie sie dank einer verantwortungsvollen Gesundheitspolitik zum Spielball der Tabakindustrie wurden.
Die Repressalien der Tabakindustrie bekam unter anderem Brasilien wegen seiner geplanten Warnhinweise auf Zigarettenpackungen zu spüren. Philip Morris behauptete, diese würden die gesundheitlichen Wirkung des Rauchens "nicht exakt darstellen" und die Tabakindustrie in einem schlechten Licht erscheinen lassen. Die Bilder stellen drastische Gesundheitsgefahren des Rauchens dar als die kleineren Hinweise, die in den USA empfohlen werden. So zeigen die brasilianischen Warnbilder beispielsweise einen Fötus mit der Warnung, Rauchen könne Fehlgeburten verursachen.
Auch Norwegen, das laut Handelsblatt "seit Ende der 80er Jahre Vorreiter bei der Einschränkung von Tabakkonsum durch gesetzliche Verbote" ist, wurde von Philip Morris vor den Kadi gezerrt. Der Nikotindrogenhersteller verklagte das Land wegen eines Gesetzes, das Tabakwaren unter den Ladentisch verbannt. Zudem hatte sich der skandinavische Staat bei den Tabakmultis dadurch unbeliebt gemacht, dass er alle Tabakaktien nach einer entsprechenden Empfehlung seines Ethik-Rats aus dem staatlichen Pensionsfonds geworfen hatte.
Besonders grotesk an der Klage gegen Norwegen ist die Begründung, die Philip Morris gegenüber dem Handelsblatt anführt: "Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise, dass dieses Verbot irgendeinen gesundheitsfördernden Effekt hat." Dieses Argument kommt ausgerechnet von einem Konzern, der ein gesundheitsschädliches und tödliches Produkt verkauft. Die Schädlichkeit von Marlboro und Co. ist mehr als hinreichend wissenschaftlich bewiesen. Das hindert den Tabakdrogenhersteller aber nicht im Geringsten daran, sein tödliches Geschäft uneingeschränkt weiter zu betreiben. Ist das nicht schizophren?