Erstmalig in Deutschland Zigarettenwerbeplakate abgehängt
Münchner Behörden verschlafen Jugendschutz
[15.05.2010/pk]
Auf Veranlassung des Berliner Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf wurden Tabakwerbeplakate für die Marke Benson&Hedges Slide abgehängt, weil sie jugendgefährdende Tabakwerbung enthalten. Das Bezirksamt war am 31. März durch eine Anzeige des Forum Rauchfrei auf diese Werbekampagne aufmerksam gemacht, die mit jungen Modellen für die in Deutschland relativ neue Zigarettenmarke aus dem Hause Gallaher, einer Tochtergesellschaft der Japan Tobacco International. Der Leiter des zuständigen Lebensmittelaufsichtsamts teilte zudem mit, er würde ein Bußgeldverfahren einleiten.
Er teilte die Auffassung des Forum Rauchfrei, dass die Benson&Hedges-Werbung gegen den Paragrafen 22 des Tabakgesetzes verstößt, wonach Darstellungen verboten sind, "die ihrer Art nach besonders dazu geeignet sind, Jugendliche und Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen". Sie verstößt außerdem gegen die Selbstverpflichtung der Tabakindustrie, nicht mit Models zu arbeiten, die jünger als 30 Jahre sind oder jünger als 30 wirken.
Das Abhängen von Plakaten stellt in Deutschland eine Premiere dar und ist ein großer Erfolg für den Jugendschutz und ein wichtiges Signal bezüglich der Einhaltung des gesetzlichen Tabakwerbeverbotes. Japan Tobacco International hat für seine Marke Benson&Hedges Slide die nationale Einführung gestartet, wie in der Tabakzeitung vom 16.04.2010 zu lesen war.
Johannes Spatz, Sprecher des Forum Rauchfrei, freut sich über diesen Erfolg für den Jugendschutz. Junge Modelle, die bei der Tabakwerbung eingesetzt werden, regen Jugendliche zum Rauchen an. Deshalb verstoßen die Plakate gegen das Tabakgesetz. Spatz kritisierte, in der Vergangenheit sei die Einhaltung des gesetzlichen Tabakwerbeverbots von den zuständigen Lebensmittelaufsichtsämtern nicht kontrolliert worden. Auch bei Anzeigen blieben die Ordnungsbehörden gegenüber der Tabakindustrie meist passiv.
Das Forum Rauchfrei fordert deshalb, "die Zeit der Nachgiebigkeit gegenüber gesetzwidriger Tabakwerbung muss ein Ende haben". Auf Grund der vielen bislang dokumentierten Verstößen und der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Behörden ist jedoch die einzig wirksame Maßnahme zum Schutz der Jugend ein generelles Tabakwerbeverbot auf den Straßen, wie es Johannes Spatz fordert. Denn die Bundesrepublik Deutschland stellt in Europa zusammen mit Griechenland das absolute Schlusslicht dar; nur in diesen beidem Ländern ist Tabakwerbung auf den Straßen, so genannte Außenwerbung, noch nicht verboten.
Anzeigen wegen jugendgefährdender Tabakwerbung auch in München
Die beanstandete Benson&Hedges-Werbung wurde nicht nur in Berlin verbreitet, sondern auch in anderen deutschen Städten. In München erstatteten um den Jugendschutz besorgte Bürger ebenfalls Anzeige beim Kreisverwaltungsreferat (KVR). Neben der Werbung für die beiden Marken "Benson&Hedges (B&H) Silver Slide" und "Benson&Hedges (B&H) Black Slide" richtete sich eine Anzeige vom 22.04.2010 auch gegen Werbung für "L&M About" sowie "Marlboro Gold Advance", die in der ganzen Stadt auf großflächigen Plakatwänden und Litfasssäulen verbreitet wurden.
Auf Grund der damit einhergehenden Jugendgefährdung wurde die Stadtverwaltung ersucht, schnellstmöglich eine umgehende und vollständige Entfernung dieser Plakate aus der Stadt München zu veranlassen, sowie gegebenfalls ein Bußgeldverfahren wegen der genannten Verstöße einzuleiten. Das Kreisverwaltungsreferat wurde eigens darauf hingewiesen, dass es keinesfalls akzeptabel sei, das Verfahren so lange unerledigt laufenzulassen, bis sich die Werbekampagne von selbst erledigt hat.
Die Verfasser der Anzeige forderten das KVR auf, noch vor dem Wochenende tätig zu werden, und umgehend die Abstellung dieser Rechtsverstöße veranlassen. Auf Grund der Wiederholungsgefahr wurde um die Einleitung geeigneter Maßnahmen zur nachhaltigen Vermeidung ähnlicher rechtswidriger Werbekampagnen gebeten. Auch die Eigentümer der benutzten Werbetafeln sowie der Aufstellorte sind als Mitstörer Gegenstand dieser Anzeige. Neben den werbenden Tabakfirmen und den für Kampagne und Plakatanbringung verantwortlich zeichnenden Werbeagenturen sind die Eigentümer der Standorte ebenfalls mitverantwortlich für die Verbreitung illegaler Tabakwerbung (Stichwort "Eigentum verpflichtet"). In den meisten Fällen ist das die Bahn, bei den Tunnelbahnhöfen die Stadt München.
Die benachrichtigte Bußgeldstelle des Münchner Kreisverwaltungsreferat reagierte umgehend mit einer Weiterleitung an das Referat für Umwelt und Gesundheit sowie an die Fachstelle Jugendschutz, die auch unter der Bezeichnung Stadtjugendamt bekannt ist. Auch wurde die Einleitung eines Bußgeldverfahrens nach einer rechtlichen Überprüfung in Aussicht gestellt. Zudem teilte das KVR mit, dass "die Plakatflächen in München von der Firma Ströer Deutsche Städte Medien GmbH verwaltet werden", die in München auch eine Regionalniederlassung unterhält.
Zwei Wochen später: Plakatwerbung an Münchner Bus- und Trambahnhaltestellen
Von konkrete Aktivitäten oder Gegenmaßnahmen der zuständigen Münchner Behörden waren jedoch nicht zu bemerken. Die Werbekampagne rollte ungehindert weiter. Etwa zwei Wochen nach der ersten Anzeige in München, die Zahl großformatiger Plakate im Stadtgebiet und an den S-Bahn-Stationen war inzwischen zurück gegangen, rollte die nächste Welle der Benson&Hedges-Kampagne an, die einen großen Teil der Bus- und Trambahnhaltestellen mit Werbeflächen abdeckt. Hier ist die Gefährdung Jugendlicher besonders groß, da diese Haltestellen vor allem von Jugendlichen auf dem Schulweg frequentiert werden.
Das für die weitere Bearbeitung der Anzeige zuständige Referat für Gesundheit und Umwelt hüllt sich immer noch in Schweigen. Nicht einmal zu einer einfachen Rückmeldung konnte sich die Behörde durchringen, ganz zu schweigen von sichtbaren Handlungen wie dem Entfernen der Plakate. Es sieht fast so aus, als wollte das Münchner Umweltreferat - trotz des expliziten Hinweises auf die Dringlichkeit - das Problem einfach aussitzen.
Münchner Behörden verschlafen den Jugendschutz
Der Absender der zweiten Anzeige erhielt immerhin eine Antwort vom Stadtjugendamt, allerdings mit der etwas überraschenden Aussage "Die Fachstelle Jugendschutz ist zuständig für Verstösse gegen die gesetzlichen Vorschriften zum Jugendschutz. Dies sind im speziellen das Jugendschutzgesetz (JuSchG), sowie der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Aus diesen Gesetzen ergibt sich für Ihr Anliegen keine Interventionsmöglichkeit durch unsere Fachstelle." Um doch noch den Anschein von Aktivität zu erwecken, teilte der KVR-Mitarbeiter mit: "Wir haben Ihr Schreiben daher an den deutschen Werberat sowie an den Deutschen Zigarettenverband weitergeleitet."
In einem weiteren Schreiben wurde der Mitarbeiter der Fachstelle Jugendschutz über die Regelung zum Schutz der Jugend im Tabakgesetz aufgeklärt. Das zitierte Tabakgesetz bezieht sich in Paragraf 22, Abs. 1b ausdrücklich auf "Jugendliche oder Heranwachsende". Damit fällt die kritisierte Tabakwerbung sehr wohl in den Zuständigkeitsbereich des Jugendschutzes, auch wenn sie nicht in den beiden vorrangig dem Jugendschutz gewidmeten Gesetzen JuSchG und JMStV erwähnt ist. Des weiteren wurde an den Mitarbeiter des Jugendschutz-Referats die Frage herangetragen, ob bei der Weiterleitung der Anzeige an den Deutschen Zigarettenverband und den Werberat der Datenschutz berücksichtigt (also keine persönlichen Daten der anzeigenden Personen weitergegeben) wurde.
Trotz aller Erläuterungen fiel die Antwort des betreffenden Mitarbeiters recht monoton aus. Er wiederholte einfach noch einmal seine Aussage "Die Fachstelle Jugendschutz ist zuständig für Verstöße gegen die gesetzlichen Vorschriften zum Jugendschutz. ..." und erklärte sich für nicht zuständig. Die Frage nach dem Datenschutz ließ er unbeantwortet. Auf eine erneute Nachfrage nach Beantwortung der vergessenen Frage antwortete er nur, "sicherlich haben Sie Verständnis dafür, dass ich Ihnen diese Frage nicht beantworten kann, da Sie nicht der Absender der Beschwerde sind". Auf eine weitere Nachfrage mit Richtigstellung kam als Antwort eine Abwesenheitsnotiz, der betreffende Mitarbeiter hat sich für die nächsten drei Wochen in seinen Urlaub geflüchtet. Rechtzeitig wollte er dies wohl nicht bekanntgeben, und für die Mühe einer vernünftigen Antwort war er vor seinem Urlaub augenscheinlich ebenfalls schon zu träge...
Selbst nach seinem ausgiebigen Urlaub war der zuständige Mitarbeiter des Münchner Stadtjugendamtes jedoch nicht willens, die ihm gestellten Fragen zu beantworten. Mit einsilbigen und nachweislich falschen Behauptungen verweigerte er jegliche konkrete Antworten. Erst nach einer förmlichen Beschwerde bei seinem Vorgesetzten lieferte er eine qualifizierte Antwort. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass die Weiterleitung an den deutschen Werberat sowie den Deutschen Zigarettenverband (DZV) ohne Berücksichtigung des Datenschutzes statt fand. Der betreffende Mitarbeiter wollte offensichtlich das Problem wie eine heiße Kartoffel an die nächstbesten Stellen loswerden, für ihn hatte augenscheinlich höchste Prioität, selbst nichts mehr mit der Angelegenheit zu tun zu haben.
Fazit: Angesichts der Tatsache, dass immer noch etwa jeder sechste Jugendliche raucht, nimmt die Münchner Jugendschutzbehörde das Problem auf die leichte Schulter. Nicht einmal umfangreich dokumentierte und begründete Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen des Jugendschutzes können den verschlafenen Amtsschimmel im Stadtjugendamt etwas auf Trab bringen. Die zuständigen Behörden müssen sich jedoch darauf einstellen, in Zukunft öfter mit diesem Problem konfrontiert zu werden.