Deutscher Presserat toleriert illegale Tabakwerbung
Ausreden statt Ahndung von Verstößen
[01.05.2010/pk]
Am 26.01.2010 berichtete die Süddeutsche Zeitung auf der Titelseite über den Afghanistan-Krieg. Über dem Leitartikel prangt ein riesiges dpa-Foto, das gut erkennbar eine Packung Zigaretten der Marke "Reyno Classic" und Schnupftabak der Marke "Gletscherprise" nebst weiteren Rauchutensilien zeigt, daneben ein Schild mit der Aufschrift "Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt". Neben dem Foto wird eine Diskussion im SPD-Parteivorstand über die Afghanistan-Strategie erwähnt, Exbundeskanzler Helmut Schmidt (91) war als Referent beteiligt. Statt inhaltlicher Details merkt die Süddeutschen Zeitung jedoch nur an, dass Helmut Schmidt dabei "auf Schnupftabak und die Mentholzigaretten keinesfalls verzichten wollte".
Das Bild mit Zigarettenpackung und Schnupftabak, das sich fast über vier Spalten erstreckt, steht in keinerlei Zusammenhang zum Inhalt des Leitartikels über den deutschen Afghanistan-Einsatz. Einzig die Teilnahme Helmut Schmidts dient als Aufhänger für dieses völlig deplatzierte Bild. Der Altbundeskanzler hatte bereits als rücksichtsloser Oberqualmer der Nation wegen seiner Übertretungen des gesetzlichen Rauchverbots weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Von der Raucherlobby wird er gerne als Gallionsfigur im Kampf gegen die Nichtraucher angeführt.
Empört über diesen plumpen Vorwand für die illegale Platzierung von Tabakwerbung und Schleichwerbung für das Rauchen wandte sich eine Leserin der Süddeutschen Zeitung mit einer entsprechenden Beschwerde an den Deutschen Presserat. Wegen des Verstoßes gegen den deutschen Pressekodex, Richtlinien Ziffer 7.2 "Schleichwerbung" und Ziffer 11.6 "Drogen" forderte die verärgerte Leserin eine Abmahnung des Blatts, eine öffentliche Entschuldigung sowie eine Unterlassungserklärung der Redaktion der Süddeutschen Zeitung sowie eine Stellungnahme des Deutschen Presserats.
Die Entscheidung ließ lange auf sich warten, da der Presserat nur wenige Sitzungstermine im Jahr wahrnimmt. Die lange erwartete Stellungnahme des Presserats ist allerdings nicht nur recht dürftig, sondern enthält etliche Fehler. Ein ablehnender Bescheid mag zwar enttäuschend sein, wäre aber mit einer entsprechenden Erklärung noch akzeptabel.
Der Presserat äußert jedoch nur lapidar die "Auffassung, dass ein Verstoß gegen den Pressekodex nicht vorliegt". Bei der Begründung dieser Auffassung macht sich der Presserat, der eigentlich die Funktion der Selbstkontrolle der Presse ausüben sollte, jedoch nicht einmal die Mühe, zu seinem eigenen Kodex konforme Argumente zu finden.
So wird in der Ablehnung der Beschwerde angeführt, der Presserat wäre zu dem Schluss gelangt, "dass die Dokumentationsabsicht des Bildes im konkreten Fall eindeutig die nach unserer Auffassung sehr geringe Werbewirkung für die abgebildeten Produkte eindeutig überlagert", womit der Vorwurf der Schleichwerbung nach Ansicht der Journalisten widerlegt wäre.
Der Deutsche Presserat leugnet also nicht einmal, dass das auf der Titelseite abgebildete Foto in der Tat eine werbende Wirkung ausübt. Dabei ist es völlig unerheblich, welche Wirksamkeit der Presserat dieser Werbung zugesteht. Tabakwerbung ist in deutschen Zeitungen und Zeitschriften seit 2006 verboten. Deutsche Gerichte, die sich bereits mehrfach mit illegaler Tabakwerbung in Printmedien auseinandersetzen mussten, haben entschieden, dass dieses Werbeverbot nicht nur jegliche Abbildung von Tabakwaren beinhaltet, sondern selbst Image-Werbung für die Tabakindustrie.
Aber der Deutsche Presserat behauptet frech, "Schleichwerbung im Sinne der Richtlinie 7.2 des Pressekodex liegt [daher] nicht vor". Dabei spezifiziert diese Richtlinie ganz eindeutig, "Eine Überschreitung [der Grenze zur Schleichwerbung] liegt insbesondere nahe, wenn die Veröffentlichung über ein begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der Leser hinausgeht...". Wenn hier ein begründetes öffentliches Interesse existiert, dann bezieht es sich auf die Unterlassung derartiger irreführender Darstellungen einer Sucht, die mehr Menschenleben fordert, als Alkohol, Verkehrsunfälle, AIDS, Vogel- und Schweinegrippe, BSE, SARS, illegale Drogen und Morde zusammen.
Weiter führt der Presserat aus, "auch eine Verharmlosung von Drogen konnten wir nicht erkennen. Mit dem Bild und dem beigestellten Text wird lediglich dokumentiert, dass Helmut Schmidt auch im hohen Alter nach wie vor nicht davon abweicht, Tabakprodukte zu konsumieren."
Der Presserat bleibt jedoch jegliche Erklärung schuldig, in welchem Zusammenhang diese "Dokumentation" mit dem Afghanistan-Konflikt steht, um den sich die Berichterstattung dreht. Wohl gemerkt, es geht hier um einen Krieg, internationale Terroristen und Attentate, bei dem Menschen ums Leben kommen. Aber die Süddeutsche Zeitung sieht ihre journalistische Aufklärungspflicht der damit verbundenen Entscheidungen über Leben und Tod vorrangig in der Berichterstattung über die suchtgelenkten Marotten eines alten Mannes.
Die Süddeutsche Zeitung verliert dabei aber kein Wort darüber, dass Helmut Schmidt derart der Nikotinsucht verfallen ist, dass er keinerlei Rücksicht auf seine Mitmenschen nimmt, und sogar die Gesetze zu deren Schutz missachtet. Die Süddeutsche Zeitung verschweigt, dass der Altbundeskanzler bereits seit 1981 einen Herzschrittmacher trägt, und zuvor bereits zweimal wegen Adams-Stokes-Anfällen wiederbelebt werden musste. Die Süddeutsche Zeitung verheimlicht, dass Schmidt sich im Jahr 2002 wegen eines lebensbedrohlichen Herzinfarkts einer Bypass-Operation unterziehen musste und inzwischen schon vier Bypässe zum Überleben benötigt.
Statt dessen stellt die Süddeutsche Zeitung einen 91-Jährigen dar, der so agil und rüstig ist, dass er in seinem hohen Alter noch die Geschicke der Weltpolitik mitbestimmen kann. Die Süddeutsche Zeitung zeigt den Altkanzler als einen gesunden Menschen, der sich selbst in seinem hohen Alter noch den Genuss von Zigaretten und Schnupftabak erlauben kann.
Diese unausgewogene Darstellung gibt die Realität stark verzerrt wieder, wobei man insbesondere den professionellen Journalisten der Süddeutschen Zeitung und der dpa als Urheber des Fotos unterstellen muss, dass dies weder unbeabsichtigt noch grundlos erfolgte. Das Blatt erweckt damit bewusst den Eindruck, dass Tabakkonsum auch im hohen Alter noch gefahrlos möglich ist. Im Einklang mit der gerne von der Raucherlobby vorgebrachten These wird Helmut Schmidt als lebender "Beweis" dafür angeführt, dass Tabakkonsum keineswegs zu einem vorzeitigen Ableben führt, selbst wenn man seit dem frühesten Kindesalter der Nikotinsucht verfallen ist.
Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die "Dokumentation" des Tabakkonsums von Helmut Schmidt im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Krieg nicht nur völlig irrelevant, sondern definitiv Tabakwerbung ist. Zudem ist diese "Dokumentation" vorsätzliche Irreführung der Leser in Bezug auf die Gefahren des Tabakkonsums.
Aber der Deutsche Presserat behauptet frech, "nach unserer Auffassung stellt diese Information keinerlei Verharmlosung von Tabak dar. Durch Bild und beigestellten Text entsteht nicht der Eindruck, als sei Tabak ungefährlich." Statt den gemeldeten Verstoß gegen den Pressekodex zu ahnden und sich für eine zukünftige Vermeidung einzusetzen, versucht der Presserat den Missstand durch banale Ausreden und Auffassungen wegzudiskutieren.
Der Presserat nimmt seine offizielle Aufgabe nicht wahr, auf die Beseitigung von Missständen im Pressewesen hinzuwirken. Getreu dem alten Spruch "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus" möchten sich die Vertreter des Presserats - allesamt selbst Journalisten aus den höchsten deutschen Presserängen - offensichtlich bei ihren Kollegen nicht unbeliebt machen, oder diese vor öffentlicher Kritik schützen, die auf den gesamten Berufsstand der Journalisten abfärben könnte. Vor allem nicht in einer Angelegenheit wie illegaler Tabakwerbung, bei der die Presse keinen öffentlichen Aufschrei der Entrüstung im ganzen Land zu erwarten hat, und damit keinen nennenswerten öffentlichen Druck befürchten muss.
Diese unsensible und voreingenommene Handhabung des beanstandeten Verstoßes lassen Zweifel an der Unabhängigkeit des Presserats aufkommen. So ist beispielsweise mit Manfred Protze ein dpa-Redakteur Vorsitzender des Beschwerdeausschusses. Aus dem Hause der dpa stammt zufälligerweise das Foto mit der beanstandeten Tabakwerbung, das die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht hatte. Versucht Protze möglicherweise, seine schützende Hand über liebe Kollegen zu halten?
Weiteren Anlass zu Zweifeln gibt auch die allgemeine Verbrüderung der Presse mit der Tabaklobby, die sich beispielsweise im Liberty Award manifestiert. Unter dem Vorwand einer Preisverleihung für angeblich unabhängige Journalisten werden Presseleute für das Netzwerk der Tabakindustrie vereinnahmt. Im Fall der vorliegenden Beschwerde scheint sich die Investition der Tabaklobby in diese Veranstaltung wieder einmal gelohnt zu haben.
Erwähnenswert ist hier insbesondere die Verbindung mit Dr. Wilm Herlyn, fast zwei Jahrzehnte Chefredakteur der Deutschen Presseagentur (dpa), der unter anderem mittels der Funktion eines Jury-Mitglieds beim Liberty Award seit vier Jahren in das Netzwerk der Tabaklobby eingebunden ist. Ist es wirklich eine sachliche neutrale Entscheidung, dass das beanstandete dpa-Foto vom Deutschen Presserat so nonchalant als "völlig unbedenklich" gewertet wird?
Der Bequemlichkeit halber wird beim Deutschen Presserat die Existenz eines Problems gleich vollständig geleugnet, um gar nicht erst den Gedanken nach weiteren Forderungen an die Presse aufkommen zu lassen. Ähnlich dem Deutschen Zigarettenverband nimmt der Deutsche Presserat offensichtlich nur eine Alibifunktion wahr. Beschwerden werden höflich aber unverbindlich abgewiegelt, um den Eindruck von Aktivität und Verantwortungsbewusstsein zu erwecken. Die Hauptziel dieses Aktionismus ist, den Gesetzgeber von verbindlichen und gerichtlich einklagbaren Regelungen abzuhalten.