Werbepraktiken der Tabakbranche werden immer dreister
[28.08.2007/pk]
Es ist erst kurze Zeit vergangen, seit der Tabakwarenhersteller Philip Morris beim Verband der Cigarettenindustrie (VdC) ausgetreten ist und diesen Schritt damit begründete, dadurch nicht länger in seinen angeblichen Bemühungen um einen besseren Jugendschutz von den Mittbewerbern behindert zu werden. Sowohl Vertreter des Gesundheitswesens als auch die düpierten Konkurrenten hatten heftige Kritik an dieser Selbstdarstellung des Marktführers geübt. Zweifel am Wahrheitsgehalt der Philip-Morris-Äußerungen lieferten nicht zuletzt auch interne Dokumente des Konzerns, die dieser im Rahmen der US-amerikanischen Prozesse veröffentlichen musste.
Die Beschönigungsversuche des Tabakmultis sind noch nicht ganz verhallt, schon wird der nächste Skandal öffentlich. Die Redaktion des WDR-Magazins "Markt" berichtet von einem Vierjährigen, der Marlboro-Werbung per Post erhalten hatte. Obwohl deutsche FamilienpolitikerInnen ihr Jugendschutzgesetz über den grünen Klee loben, und die Tabakindustrie sich schon seit vielen Jahren in einer so genannten Selbstverpflichtungserklärung dazu verpflichtet hat, genau diese Praktiken zu unterlassen. So verwundert es nicht, dass Experten seit geraumer Zeit kritisieren, diese so genannten Selbstbeschränkungen dienten nur dazu, gesetzliche Regelungen zu verhindern. In der Realität hätten sie keine nennenswerte Auswirkungen auf die fragwürdigen Werbepraktiken der Tabakindustrie.
Elfriede Buben, Sprecherin des Marlboro-Herstellers Philip Morris, entschuldigte diesen "unentschuldbaren Fall", behauptete jedoch steif und fest, es würde sich hierbei um einen "absoluten Einzelfall" handeln. Der "Markt"-Redaktion liegt nach eigenem Bekunden jedoch bereits ein weiterer Fall von unlauterer Marlboro-Werbung an eine Jugendliche vor. Das Berliner "Forum Rauchfrei" hat im vergangenen Jahr eine Dokumentation von mehr als 40 Verstößen gegen die Selbstbeschränkungen der Tabakbranche veröffentlicht, darunter auch etliche Beispiele aus dem Hause Philip Morris. Die Firma musste, wie auch etliche ihrer Konkurrenten, auf Beschwerden des Forum Rauchfrei beim Verbraucherschutz mehrere Unterlassungserklärungen abgeben.
Für Professor Michael Adams, Wirtschaftswissenschaftler und Jurist an der Universität Hamburg, hat diese Vorgehensweise Methode, wenngleich sogar er als ausgewiesener Experte etwas über die Dreistigkeit des aktuellen Falls überrascht ist. Adams hat inzwischen sein Buch "Das Geschäft mit dem Tod" herausgegeben, ein mehrere hundert Seiten starkes Werk, das unter anderem auf den Prozessakten der USA gegen Philip Morris et al. beruht. Im Rahmen der Recherchen für sein Buch hat Professor Adams die Erkenntnis gewonnen, dass die Konzerne bei ihrer Werbung vor allem die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen ins Visier nehmen. Dazu äußert Adams: "Diese Zielgruppe ist für die Tabakindustrie absolut notwendig, denn die Tabakhersteller brauchen immer neue Raucher. Und Raucher wird man meist unter 18 Jahren. Deshalb sprechen die Konzerne gezielt Kinder und Jugendliche an, um sie zum Rauchen zu verführen."
Experte Raphael Gaßmann von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Hamm kritisiert ebenfalls die bestehenden Verhältnisse. Das WDR-Team, das Gaßmann durch Hamm begleitete, musste nicht lange nach einem Verstoß gegen die Selbstbeschränkung suchen. Der Suchtexperte weiß aus Erfahrung: "Dies ist nun zufällig in Hamm. Wir könnten aber in jede andere Stadt in Deutschland fahren und würden solche Verstöße finden." Für das gefundene West-Plakat an der Bushaltestelle vor einem Gymnasium bittet der WDR den verantwortlichen Hersteller Reemtsma um eine Stellungnahme. Auch dort pocht man darauf, es würde sich um einen Ausnahmefall handeln. Doch immerhin wird das Plakat am nächsten Tag entfernt, allerdings erst auf Betreiben des WDR.
Wie in diesem Beispiel gleicht die so genannte freiwillige Selbstverpflichtung der Tabakbranche in der Praxis einem Katz-und-Maus-Spiel. Die Tabakmultis sind sich sehr wohl darüber im Klaren, dass von offizieller Seite praktisch keine Kontrollen erfolgen, weil sich die Beamten auf allen Ebenen restlos überlastet fühlen. So haben selbst notorische Verletzer der Regeln praktisch keine Konsequenzen zu fürchten. Die wenigen Fälle, die tatsächlich verfolgt werden können, werden betont kooperativ gehandhabt. Und insgeheim lacht man sich ins Fäustchen, dass die Ahndungsquote verschwindend gering ist.
Gaßmann von der DHS hat in seinem Archiv bereits hunderte Beispiele verbotener Zeitschriftenwerbung gesammelt. Er berichtet, der Klassiker sei das Kuschelkamel von Camel: "Die Kampagne lief Mitte der 90er-Jahre - und zwar erfolgreicher, als uns recht sein konnte". Dass sich ein Kuscheltier ganz besonders an Kinder richtet ist für ihn keine Frage.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing, kommentiert in bestimmten Ton, "Eine Selbstverpflichtung ist nicht dazu da, dass man sie nur hat, sondern sie muss auch eingehalten werden". Konsequent kommt sie sogar zur Schlussfolgerung, "und wenn man feststellt, dass es nicht funktioniert, dann muss eben an dieser Stelle auch nochmal diskutiert werden über ein Werbeverbot von Großflächenplakaten".
Vor dieser gewaltigen Drohung einer erneuten Diskussion erzittert die Tabakindustrie ganz gewiss nicht, dann mit ihrer jahrzehntelang erprobten psychologischen Kriegsführung gegen Gesundheit und Vernunft steckt sie die süße kleine Drogenbeauftragte ganz locker in die Tasche. Wie sehr sich Sabine Bätzing der Lächerlichkeit preisgibt, zeigen ganzseitige Anzeigen der Tabakindustrie in der SPD-Zeitschrift "Berliner Republik", für die sie als Mitherausgeberin verantwortlich ist. Diesen Sieg wird die Tabaklobby noch lange feiern, und der Name Bätzing wird in ihren Kreisen noch lange für ein erheiterndes Lachen sorgen.
Seit Jahren ist bekannt, dass die so genannte Selbstverpflichtung der Tabakindustrie das Papier nicht Wert ist, auf dem sie geschrieben steht. Wieviele Steuergelder will denn Sabine Bätzing diesmal zum Fenster hinauswerfen, um die altbekannten Tatsachen zum x-ten Male zu überprüfen? Derartige Äußerungen dienen nur dazu, das Problem noch weiter auf die lange Bank zu schieben, solange bis die nächste Dumme für das Amt der Bundesdrogenbeauftragten an der Reihe ist.
So bleibt Sabine Bätzing die Maus, die gerne einmal wie ein Löwe brüllt. Sie hat aber nicht den Mut zu ernsthaften Konsequenzen, weil sie in erster Linie an ihrer Karriere als Bundestagsabgeordnete hängt, und sich nicht ernsthaft mit den Mächtigen der Tabaklobby anlegen will, die sich sogar in ihren eigenen Reihen befinden.
Fazit: Die Öffentlichkeit bei der Tabakwerbung hinters Licht zu führen hat offensichtlich lange Tradition. Dokumente der Tabakindustrie aus verschiedenen Jahrzehnten belegen, wie diese immer neue trickreiche Versuche unternahm, bereits im Kindesalter die Basis für eine lebenslängliche Nikotinsucht zu legen. Die Aktualität dieser traurigen Tradition belegt nun der Fall eines Vierjährigen als Zielscheibe der Tabakwerbung. Es wird Zeit, dass die Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht, und ihren wortgewandten öffentlichen Tagträumereien endlich einmal Taten folgen lässt. Tabakwerbung muss ausnahmslos und ohne Schlupflöcher konsequent verboten werden.