Wegbereiter für eine lebenslängliche Nikotinabhängigkeit
[04.08.2007/pk]
Unlängst verkündete der Zigarettenhersteller Philip Morris seinen Austritt aus dem Verband der Cigarettenindustrie (VdC). Natürlich gibt es eine Menge handfeste wirtschaftliche Gründe, die es dem Marktführer zweckdienlich erscheinen lassen, in Zukunft weniger Rücksicht auf seine Mitbewerber nehmen zu müssen. Beispielsweise würde dem größten Zigarettendealer Deutschlands ein Tabakwerbeverbot nützen - ganz im Gegensatz zu den übrigen Herstellern - weil es seine Marktmacht zementiert.
Der Tabakmulti selbst verkauft seinen Austritt aus dem VdC marketingwirksam als Jugendschutzkampagne. Philip Morris spricht sich für die Einführung eines Tabakwerbeverbots aus, angeblich um die Jugend vor deren schädlichem Einfluss zu bewahren. Großspurig ist auf der Webseite zu lesen "Wir wollen dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche nicht rauchen". Dieser Beitrag beschränkt sich jedoch nur auf reine Lippenbekenntnisse ohne praktische Umsetzung. Denn der Zigarettenhersteller möchte nicht selbst mit gutem Beispiel vorangehen, und freiwillig auf seine allgegenwärtigen riesigen Werbeplakate verzichten. Es scheint Philip Morris wichtiger zu sein, dass die Konkurrenz keine Tabakwerbung mehr betreibt (deshalb der Ruf nach einem Tabakwerbeverbot), als die eigenen angeberischen Jugendschutzparolen in die Tat umzusetzen.
Jacek Olczak, der im November 2006 den Chefsessel bei Philip Morris Deutschland von Gerrit de Bruin übernommen hat, äußerte sich unlängst in einem Interview mit dem Tagesspiegel über seine Interpretation von Jugendschutz und Verantwortung der Tabakbranche. Schon geradezu gebetsmühlenhaft betet Olczak die eingeübten Phrasen seiner Branche herunter. Doch der Philip-Morris-Chef hat offensichtlich vergessen, welch hochbrisante Dokumente die Tabakindustrie im Rahmen der US-amerikanischen Prozesse veröffentlichen musste. Ironischerweise wird so manche Behauptung des Firmenleiters just von Dokumenten aus dem eigenen Mutterhaus entlarvt.
Im Tagesspiegel-Interview behauptet Jacek Olczak beispielsweise auf die Äußerung der Reporter, dass die Mehrheit der Leute in jugendlichem Alter mit dem Rauchen anfängt: "Wir haben kein Datenmaterial darüber, wie viele junge Menschen rauchen".
Ein internes Philip-Morris-Dokument aus dem Jahr 1981 gibt Aufschluss über langjährige Studien und detaillierte Erhebungen des Tabakkonzerns über das Rauchverhalten Jugendlicher, die über den den Zeitraum von 1968 bis 1980 liefen. Übrigens war diese Analyse nicht etwa der Abschluss des Forschungsprojektes, es wurden weitere Schritte in dieser Richtung geplant und beschrieben. Davon will ausgerechnet einer der ranghöchsten Philip-Morris-Manager nichts wissen?
Wörtlich ist in dem Papier zu lesen: "Der durchschnittliche Konsum dieser jungen Raucher ist ebenfalls gestiegen, so dass sich im Zeitraum von 1968 bis 1974 die Zahl der 12- bis 18-Jährigen verdoppelt hat, die zehn und mehr Zigaretten täglich rauchen." Es folgt die Aussage, dass dem Absatz der Tabakbranche auch ein Bevölkerungswachstum in gewissen Altersstufen geholfen hat. Dieser Wortwahl ist ganz eindeutig zu entnehmen, dass die Firma diese Erkenntnisse niemals zur Eindämmung des Tabakkonsums bei Minderjährigen nutzen wollte, sondern ausschließlich an ihrem eigenen Verkaufserlösen interessiert war und ist.
Diese Sichtweise wird untermauert durch die längerfristigen Prognosen, die sich Philip Morris aus den Umfrageergebnissen ableitet. Das interne Papier legt dar, dass die Anzahl rauchender Jugendlicher in den Jahren 1976/77 ihren Höhepunkt erreicht hat und seitdem wieder im Rückgang begriffen ist. Durch den hohen Markteinteil gerade bei Jugendlichen, so das Papier, würde Philip Morris stärker als andere Firmen unter diesem Rückgang leiden. Dennoch würde Philip Morris durch den stärkeren Einfluss von Bevölkerungstrends für mindestens ein Jahrzehnt am wenigsten verletzlich von allen Tabakherstellern sein. Ganz offensichtlich steht also der eigene Nutzen im Vordergrund, wie die rauchenden Teenager auch langfristig die Kassen bei Philip Morris klingeln lassen. Von Freude über einen positiven Trend beim Jugendschutz ist nichts zu bemerken.
Philip-Morris-Chef Olczak behauptet gegenüber dem Tagesspiegel weiter: "Es war und ist nicht unsere Absicht, Minderjährige zum Rauchen zu animieren. Das ist nicht unsere Zielgruppe. Wir sind eine der wenigen Industrien, die nicht dafür kämpft, jeden zum Konsumieren ihres Produkts zu bringen."
Was ist dem internen Philip-Morris-Papier zu diesen Behauptungen zu entnehmen? In einem Schlüsselsatz drückt der Verfasser schon die zentrale Strategie in Bezug auf jugendliche Raucher aus: "Wir werden uns nicht länger auf einen schnell wachsenden Vorrat von Jugendlichen verlassen können, aus dem wir die Raucher ersetzen können, die wir durch natürlichen Schwund verlieren". Mit anderen Worten, hier muss jemand kräftig nachhelfen, soll das einträgliche Geschäft mit den Tabakdrogen nicht ganz den Bach hinunter gehen.
Der Autor des internen Philip-Morris-Dokuments beschreibt eindeutig, wie der Konzern davon profitiert, dass sich der Tabakwarenabsatz an Jugendliche im Gefolge junger rauchender Erwachsener steigern lässt. Im Zuge dieser Entwicklung, so das interne Papier, wird der Konzern auch dann noch einen Gewinn herausschlagen, wenn der Gesamtabsatz der Tabakindustrie bereits im Sinken begriffen ist.
Philip Morris hat noch eine ganze Reihe weiterer Aspekte ausgewertet, die bei den Erhebungen an 125 staatlichen und privaten Schulen ermittelt wurden. Der Tabakkonsum ist bei Jungen stärker rückläufig als bei Mädchen, so dass inzwischen mehr Mädchen als Jungen rauchen. Das Rauchen ist besonders bei Farbigen zunehmend unpopulär. Im Nordosten ist der Raucherunteil unter Teenangern am größten, im Westen am niedrigsten. Zwischen 1975 und 1979 stieg die Anzahl der Jugendlichen stark an, die "definitiv nicht" rauchen werden.
Wenn der Philip-Morris-Chef behauptet, er hätte keinerlei Datenmaterial über den Nikotindrogenkonsum von Jugendlichen, dann scheint er sich doch wohl bewusst zu sein, dass es für die tatsächlich durchgeführten Analysen nur eine Interpretation geben kann: der Tabakkonzern hat damit ganz offensichtlich versucht, seine Markposition unter den rauchenden Teenagern zu zementieren. Allen Lippenbekenntnissen des Zigarettenherstellers zum Trotz kann seinen angeblichen Bemühungen für einen besseren Jugendschutz demnach kein Glauben geschenkt werden.